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Klaus Harms
Die Magie des Nutzlosen

Roman.
Paperback. 356 S.; 2023; EUR 18,00;
ISBN: 978-3-943940-79-4



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Eine magische Geschichte

Er ist frech, erfolgreich, leicht untergewichtig und zu allem bereit. So tritt Benno die Flucht aus dem bürgerlichen Leben an. Nicht weniger als eine Weltumsegelung nimmt er sich vor und scheitert schon vor England, wo er sein unversichertes Schiff verliert, wo er allerdings auch der Frau begegnet, die er von nun an suchen wird: Tara. Als Kellner, Straßenzauberer und Produktpräsentierer schlägt er sich durch, aus der Ferne begleitet von seinem väterlichen Freund Stephane, einem bühnenerfahrenen, älteren Magier, der seine künstlerische Entwicklung zum professionellen Illusionisten kritisch und unterstützend fördert. Bennos Heldenreise ist gespickt mit Niederlagen und Umwegen, Begegnungen mit Menschen, deren Biographien gleichfalls brüchig sind, bringt ihn aber der Chance seines Lebens nahe: einem Auftritt in einem weltbekannten Varieté. Dort begegnet er Tara wieder, die mehr als nur ein Geheimnis hütet.




Ausführliche Leseprobe (pdf-Datei)




I

Sekundenkurzer Stillstand der Zeit, eine überdrehte Schiffschaukel, ganz, ganz oben am Scheitelpunkt – momentlang unschlüssig – will sie vorwärts oder rückwärts in die Tiefe? Kopfstand der Welt, die scheinbare Willkür am archimedischen Punkt, zu einem Photo gefroren.
Wo warst Du mit Deinen Gedanken, Benno!, hört er den Vater sagen.
Krumm steht er da, den Kopf vorgereckt, Fassungslosigkeit in den Augen, der Mund steht ihm offen. Fehlt nur, dass er sabbert. Wenn er sich so sehen könnte! Vor ihm fallen Klippen steil ins Meer. Fast senkrecht unter ihm tanzen Schaumkronen ausgelassen um Felsvorsprünge und speien Gischt in die gläserne Welt, wie Speichelblasen. Eine wilde, zum Spielen aufgelegte See, unwirklich wie auf einem Bildschirm. Der Wind, hier oben kaum zu spüren. Alles geschieht wie hinter einer Folie, traumgleich. Basstölpel jagen herab aus dem metallischen Blau, bergen mit nassschweren Flügelschlägen ihre silbrig zuckende Beute und verteidigen sie gegen gierige Artgenossen. Ihre Schreie mischen sich mit denen der Möwen und Seeschwalben. Nur ein Bild, denkt er, eigentlich nichts Besonderes. Das alles ist nichts Besonderes, wiederholt er, um sich zu beruhigen. Eine Belichtung auf dem Display seiner Gedächtniskamera. Er versucht, die Wahrnehmungsfetzen zusammenzubringen: Die Sonne bescheint den südlichen Saum einer Kanalinsel. Es ist ein Junitag, der wie viele andere sein könnte, würde nicht trotz aller Bewegtheit die Zeit stillstehen und würde nicht langsam, wie Wasser durch Erde dringt, die Einsicht in ihn einsickern, dass das willenlos da unten im Wasser torkelnde weiße Dreieck die Sturmfock seines Schiffes ist. Sie hat zusammengerollt im Deckskasten gelegen, als die Binta unterging. Die See hat ein Spielzeug gefunden und es lustvoll-böse an den Klippen zerschmettert.
Er ist nicht einmal dabei gewesen, als sein neues Leben versank, ihm fehlen die Bilder für dieses Desaster. Er steht nur hier, spürt den atemlosen Stillstand. Die Erde hält an und zögert eine Sekundenewigkeit, ob sie sich weiter oder in die entgegengesetzte Richtung drehen soll. Das Absurde, so fühlt es sich an, vielleicht auch nur ein dilettantischer aber wirkmächtiger Fehler.
Solch eine Scheiße fällt nicht vom Himmel, man muss hart daran arbeiten. Und das hat er, wahrhaftig! Seine verdammte Schusseligkeit, die hat System! Seit er denken kann. Er hat ihn beständig mitgeschleift, einen Rest kindlicher, argloser Weltvergessenheit, ein Fleckchen unversehrter Unreife, das alles Lernen und Erwachsenwerden heil überstand. Bis zu diesem Junitag.
Es hätte ihm auffallen müssen, dass die Fähnchen auf den Küstencafés plötzlich landeinwärts zeigten. Vielleicht wäre noch Zeit gewesen. Vielleicht. Bei sanftem, ablandigem Wind war er vor Anker gegangen, war die paar Züge bis zur Steilküste geschwommen und hatte sich dann vom schmalen Spülsaum aus einen Weg nach oben gesucht. Grüner, weicher Rasen bis an den Klippenrand. Sonne auf dem Rücken wie eine wärmende Hand. Barfuß in nassen Shorts war er zu einem Café geschlendert, um sich Zigaretten zu kaufen. Wegen einer dämlichen Schachtel Fluppen war er noch einmal an Land gegangen! Er fasst es nicht. Von dem selbstverliebten Gedanken benebelt, endlich genau das zu tun, was ihm gerade einfiel, hatte er Kurs auf diese Insel genommen. Und der Wind hatte getan, was er manchmal tut: Er hatte gedreht, eine Laune, eine Willkür, wahrscheinlich schon während Benno die Klippen hinaufgekraxelt war.
Wie oft hatte er das in seinen Segelkursen eingeschärft, wie oft erklärt, wie man die Windrichtung auch ohne Verklicker bestimmen kann. Wach-sam-keit!, hatte er skandiert – Wachsamkeit! Und sein Zeigefinger dazu und die wichtige Miene.
Er fingert eine Zigarette aus der Schachtel, die ihm dabei aus der Hand gleitet. Sie segelt eine steile Spirale zeichnend in die Tiefe und verschwindet nicht weit von der Fock in den Wellen. Er steckt die Zigarette zwischen die Lippen und sucht in den Taschen seiner noch immer feuchten Shorts nach einem Feuerzeug. Na klasse! Nicht einmal das hat er dabei. Wütend wirft er den Glimmstängel der Schachtel nach. Das ist der Nullpunkt, der absolute. Der Moment, in dem die Welt unschlüssig kopfsteht. Die Dreiviertelstunde, die ihn von seinem Schiff, von seinem bisherigen Leben und seinen hoffnungsvollen Plänen trennt, ist die pure Willkür, hat ihn aus seiner erdnahen Umlaufbahn geschossen.
Die Seevögel jagen kreuz und quer und schlitzen einen unschuldigen Himmel auf. Das Meer wogt voller Gleichmut und Desinteresse. Aber das alles ist nur das Flimmern eines riesigen Bildschirms. Nichts ist wirklich.

Benno setzt sich, umfasst seine Knie, um wenigstens eine Berührung zu fühlen. Aber er fühlt nichts. Was bis vor ein paar Augenblicken er gewesen war, löst sich auf und zerfließt wie auslaufende Wellen, wie ein Tuschtropfen im Wasser, ohne dass er etwas dagegen unternehmen kann. Sein Leben wird vom Wind verblasen. Was da hockt, ist ein Niemand, die Hülle von etwas, das nicht mehr ist. Benno – ein toter Name.
Metallisch-kalt baumelt ein Schlüssel vor seiner Brust und berührt dann und wann seine Gänsehaut. Er könnte ihn den Zigaretten hinterher werfen. Aber er zögert. Der Schlüssel ist das einzige, was ihn mit der leblos auf dem Meeresgrund liegenden Schiffsleiche verbindet. Ein letztes bisschen Besitz und privilegierter Zugang. Niemand außer ihm kann den kleinen Safe öffnen, der hinter einem gerahmten Photo in die Bordwand eingelassen ist. Allerdings würde es wohl nie mehr dazu kommen, dass es jemand versuchte. Nur er weiß, was das kleine Gelass birgt. Wenigstens das. Wenigstens dieser Rest von Intimität und Geheimwissen ist ihm geblieben. Aber was hilft das!
Er hebt den Blick und fixiert den Horizont. Das macht ihn ruhiger. Die Sicht, die Sicht ist wichtig. Weit schauen, dann werden sich Gedanken einstellen, die helfen. Aber es stellt sich nichts ein.
Hauptsache, die Haare liegen, raunt ihm sein Schulfreund Eugen zu. Warum fällt ihm in diesem Moment nichts Bedeutendes ein, nichts Großes, Rettendes, Tröstendes – nur Blödsinn? Er friert.
Ich bin jetzt zum ersten Mal ganz allein, denkt er mit einem Anflug von Weinerlichkeit, und korrigiert sich sofort: Ich war auch vorher allein. Ich bin allein hierher gesegelt. Ich wollte allein sein, ich habe mein Alleinsein brachial herbeigeführt und theatralisch zelebriert. Und das ist nun die Folge. Alles hat eine Ursache und die Ursache bin ich. Wer sonst könnte für eine solche Groteske verantwortlich sein! Ich habe von Kindesbeinen an auf diesen Augenblick hingelebt. Ich habe mich, ohne es zu wissen, sorgfältig auf diese Katastrophe vorbereitet, mein Leben war ein einziger Hinweg zu diesem desaströsen Ende, heult er, und was das Schlimmste ist: Ich war völlig frei, ich hätte mich anders entscheiden können. Nichts und niemand hat mich gezwungen.

Das Wort Mittellosigkeit fällt ihm ein. Sein Vermögen, wenn man es so nennen kann, hatte er in einen seegehenden Katamaran gesteckt – den, der jetzt unter Wasser auf die Besiedelung durch Krebse und Seeigel wartet. Natürlich musste er das Schiff wählen, das er gerade noch hatte bezahlen können, weshalb neben den Ausgaben für Ausrüstung, Proviant und eine kleine Barschaft für die ersten Wochen kein Geld mehr übrig war, um es zu versichern. Das perfekte Schiff, makellos bis auf eine kleine Kerbe am Steuerrad, die schon da war, als er das Schiff übernahm. Daran kann ich´s immer wiedererkennen, hatte er augenzwinkernd dem Vorbesitzer gesagt. Was hilft ihm das jetzt! Nichts ist ihm geblieben. Selbst das Bargeld liegt mit den Papieren, die ihn als Eigner ausweisen, und einem kleinen Affen aus Jade im Safe der Binta und ist vermutlich gut durchgeweicht, aber sicher vor jeglichem unbefugten Zugriff.
Somit besitzt er noch Badeshorts, einen Schlüssel am Band, eine Sturmfock, die das Meer wie ein Angebot zur Versöhnung in Klippennähe festhält, und ein paar momentan wirre Erinnerungen an den Mann, der er einmal war. Aus einem abenteuernden Weltumsegler ist binnen fünfundvierzig Minuten ein mittelloses, orientierungsloses und vor allem völlig ratloses, frierendes Etwas geworden. Formlos wie ein Furz. Überflüssig wie eine Warze. Und das alles noch ehe die große Fahrt so richtig begonnen hat. Jämmerlich!
Er ist der vierjährige Ausreißer, der sich abends an den gedrechselten Sprossen der Holztreppe hinunterarbeitet, durch den glimmenden Blätter- und Rankenschein, den der Mond von den bleiverglasten Fenstern abpaust. Aber Bennolein, wird die Mutter sagen, wenn er an der Hand einer Nachbarin wieder vor der Wohnungstür steht, du hättest dich doch gar nicht an Elfi vorbeigetraut. Elfi, der Hund in Parterre. Immer hatte er irgendetwas nicht auf der Rechnung gehabt. Oft Kleinigkeiten. Im Mathematikunterricht waren ihm die großen Lösungswege mühelos zugefallen. Aber dann hatte er sich regelmäßig in die Nebenrechnungen verstrickt. Zahlendreher, ein falsch gesetztes Komma, irgendwas.
Irgendwas ist immer, räsoniert sein Freund Ralf und spült das Irgendwas mit einem Bier runter. Diese Gelassenheit fehlt ihm. Er arbeitet an sich, will diese unsäglichen, banalen Aussetzer ausmerzen. Er lässt die Saufabende mit Ralf seltener werden, er will sein Examen bestehen, die Studenten–WG verlassen, er will ein sauberes Hemd anziehen und einen schwarzen Anzug und die Tür zu diesem hässlichen Beton- und Glasquader aufreißen und endlich die Sachen sagen, die man sagen muss, wenn man einen Stempel unter seinem Studium haben will. Endlich soll jemand bestätigen, dass mal alles gestimmt hat. Und er bekommt den Stempel, obwohl ihm ein paar Unterlagen fehlen, die zu Hause griffbereit auf dem Schreibtisch warten. Er ist jetzt Diplompädagoge. Der Vater erlebt das nicht mehr, die Mutter schon.
Bennolein, ich bin stolz auf dich.

Eigentlich ist das kein Beruf, Diplompädagoge, aber irgendwie kann man damit alles machen. Er heuert an einer Privatschule an, unterrichtet Biologie, Physik und Geschichte. Tagsüber steht er vor den Klassen, nachts liest er in seinen alten Schulbüchern, was er tags drauf unterrichten wird. Er ist immer ein paar Seiten weiter als seine Schüler. Das klappt einige Jahre lang. Er verdient nicht schlecht. Die Schule bietet Segelfreizeiten an, der Sportlehrer fragt eines Tages den jungen Kollegen, ob er nicht mitmachen wolle. Ja, will er. Benno besteht die Segelprüfung, erst binnen, dann buten. Er macht den Küstenschein, er assistiert dem Sportkollegen und ersetzt ihn schließlich, als dieser nach einem Autounfall seinen Dienst beenden muss.
Die Segelfreizeiten werden zu einem werbewirksamen, pädagogischen Schwerpunkt der Schule. Die Anmeldezahlen steigen. Es gibt laufend Anfragen von externen Schülern. Benno organisiert und bucht, er ist Skipper, er ist Lehrer, er ist Unternehmer und beginnt zu begreifen, dass er das auch ohne die Schule kann. Über einen befreundeten Finanzberater verschafft er sich einen Bankkredit, indem er eine Auftragslage zusammenzaubert, von der er nur träumen kann, und gründet eine Segelschule, nutzt sein jahrelang gesponnenes Beziehungsnetz, bereitet nebenbei für den TÜV Alkoholsünder auf den Idiotentest vor und kann nach zwei Jahren schwarze Zahlen buchen.
Er mietet sich in einem ehemaligen Wasserschloss am Rande der Stadt ein. Nur ein Zimmer – aber Schloss. Sein Nachbar, Stephane, ist Magier, tritt mit hochgekrempelten Frackärmeln auf, zaubert aus dem Nichts nackter Unterarme bunte Bällchen, hauchzarte Tücher und Spielkarten hervor. Nun sitzt er abends mit einem Zauberer zusammen, schlürft Cognac und eine fremde, aufregende Lebensgeschichte, bekommt das Staunen seiner Kindertage wiedergeschenkt und verfällt der Magie des Nutzlosen. Das muss er lernen, dieses Staunenmachen, dieses Erschaffen aus dem Nichts. Das kann er doch, das hat er doch an der Schule bewiesen, Lehrer sein aus dem Nichts, Unternehmer sein ohne Ass im Ärmel.
Aber der alte Herr hält auf seine Berufsehre, er verrät nichts. An seinem siebten Weihnachtsfest fand der kleine Benno einen Zauberkasten unter dem Baum, konnte nach langem Üben einen Groschen in einem pappenen Klapptäschchen verschwinden und wieder erscheinen lassen. Es gab einen Zauberstab, schwarz mit weißen Enden, einen Becher mit doppeltem Boden und Karten mit versteckten Symbolen auf der Rückseite. Kein Familienfest künftig ohne eine kleine Aufführung.
Bennolein, du Zauberkünstler.
Nach langem Drängen lädt Stephane ihn in den magischen Zirkel ein, eine Gruppe von Zauberern, die dort ihre Erfahrungen austauschen, Auftritte vorbereiten, Testläufe von Kollegen beurteilen lassen. Tagsüber lehrt er in der Segelschule, nachts übt er mit Spielkarten, Seilen und Scheren, verchromten Metallringen und Zylindern. Er ist frech, erfolgreich, leicht untergewichtig und zu allem bereit. In den Häfen an der Küste gibt er künftig kleine Bord-Vorstellungen für seine Segelschüler. Wenn er als Skipper auf einem Skutsje oder Tjalk unterwegs ist, füllt er auch schon mal den Hafen mit einer Zaubershow auf dem Kai.
Und dann Greetje. Sie hat einen Törn auf einem Zweimaster gebucht. Er ist der Skipper. Eine Ijsselmeerrunde, die üblichen Häfen, ein Wochenende. Sie ist hübsch, hat kupferfarbene Korkenzieherlocken und fröhliche, seegrüne Augen. Er läßt sie am Steuerrad eine Weile Kurs halten.
»Skipper – ist das dein Beruf?«
»Ja, auch.«
»Was machst du sonst noch so?«
»Ich bin Illusionist.«
»Illusionist? – erklär mal!«
»Ich kann Teile von mir bei dir verschwinden lassen.«
Die Ohrfeige brennt noch eine Weile auf der Wange, aber abends liegen sie in seiner Kapitänskoje.

Künftig besucht er Greetje regelmäßig in Harderwijk, wenn er Aufträge in den Niederlanden hat. Greetje besucht ihn, so oft sie kann, im Schloss. Inzwischen hat er einen alten Mercedes Diesel, der die vielen Fahrten in seinem abgeklemmten Tachometer vergisst, und eine Yacht, die küstentauglich ist. Er nennt sie Binta. Eines Tages sagt Greetje ihm, dass sie bleiben will. Im Schloss ist eine etwas größere Wohnung frei, sie mieten sie an. Er weiß nicht, ob er sie liebt. Er lässt geschehen, was geschieht. Aber es gibt eine Bedingung: Benno will keine Kinder, auf gar keinen Fall will er die. Unter keinen Umständen. Er kann es nicht begründen, er kann es nur immer wieder sagen. Und dass es ihm ernst ist. Und dass er ganz sicher ist.
»Überleg es dir genau, ob du dieses Leben willst.«
»Nein«, sagt sie. »Nein«, und irgendwann sagt sie: »ja«.
Sie kaufen ein Doppelbett, sie machen es sich auf fünfzig Quadratmetern schön. Benno braucht nur wenige Dinge um sich, er will beweglich bleiben. Greetje ist Sammlerin. Benno tauscht die Binta gegen eine größere Yacht für eine Reise rund um die britischen Inseln. Er nennt sie gleichfalls Binta. Greetje bekommt einen Job als Fremdsprachenkorrespondentin in einem internationalen Speditionsunternehmen.
Die Abende mit Stephane sind seltene Juwelen geworden. Benno genießt sie. Sie tauschen Magiererfahrungen aus, sie trinken Cognac, sie sind sich auf diskrete Weise nah.
»Das kannst du ihr nicht zumuten«, sagt sein väterlicher Freund. »Frauen wollen Familie.«
»Aber es ist so«, sagt Benno.
Im übernächsten März sagt Greetje ihm, dass sie schwanger ist. Sie hat es gewollt, sie will das Kind für sich, er muss nichts tun, er muss nichts sagen. Er tut nichts, er sagt nichts, lässt sie stumm zur Arbeit gehen, fährt zu seinem Freund Ralf, der Schreiner geworden ist, leiht sich eine Handkreissäge aus, fährt zurück, sägt das Doppelbett sorgfältig in zwei Hälften, packt die eine in den Kombi, dazu seine wenigen Dinge, einen Seesack voll, mehr nicht, und verlässt die gemeinsame Wohnung.
Greetje erfährt später, dass seine Konten leer sind. Er hat von einem unbekannten Standort aus die Segelschule abgewickelt, sämtliche Rücklagen abgehoben, die Binta verkauft und einen Katamaran erworben, der für eine Weltumsegelung taugt.
Von Ralf hört sie, dass er etwa ein halbes Jahr nach seinem Auszug mit der neuen Binta vom Dollart aus gestartet ist. Seitdem hat auch Ralf nichts mehr von ihm gehört.
Benno löst sich langsam aus der Starre, dehnt sich und überlegt, welche Überlebenstaktik er seinen Segelschülern vermittelt hat.
Ressourcenorientiert denken! Schauen: Was hab ich zur Verfügung, was kann ich damit ausrichten?
Die Fock! Es ist absurd, aber er will sie haben. Er wird später entscheiden, warum er das getan haben wird. Aber jetzt sucht er sich einen langen Ast unter einem der verkrüppelten Bäume, die sich an die Steilküste ducken wie Matrosen im Sturm, und klettert noch einmal hinunter in die kleine Bucht. Er balanciert über die Ausläufer der Klippen und muss nicht lange warten, bis die Fock in erreichbarer Nähe ist. Sie hat sich mit einer Schot in einem Felsspalt verfangen. Deshalb wurde sie nicht fortgeschwemmt. Ganz leicht lässt sie sich bergen. In dem Klarsichtfenster am unteren Liek spielt noch der Schaum. Er rollt sie vorsichtig ein, wie man ein Kind zudeckt, knotet sich die Schoten um den Bauch und klettert zurück.

Während die Dämmerung sich über die Küste legt, sitzt er noch immer da und schaut aufs Meer. Als es dunkel ist, rollt er sich in die Fock ein und legt sich neben einen Strauch ins Gras. Unter dem weißen, drahtseilverstärkten Rand lugt er hervor, wie als kleiner Steppke, wenn er im Auto auf der Rückbank unter einer Wolldecke lag und die lange Urlaubsfahrt verschlief. Das Schaukeln, das Motorbrummen, das Gewiegt- und Getragenwerden, das Nicht-Wissen-Wohin, das Arglos-Sich-Anvertrauen. Wenn er das noch einmal könnte!

Aus dem Augenwinkel erspäht er einen Kaffeebecher, den der Wind hergeweht hat. Vor ein paar Monaten hat er aus solch einem To-go-Becher Geld gezaubert, in Enkhuizen, vor verblüfften Segelschülern nach reichlich Bier und Genever.
Bennolein, du Magier.
Sie zieht die Decke über seine Schulter und schaut ihm beim Einschlafen zu. Er fühlt ihre Hand auf der Wange. Gut – gut, gut. Und dann schläft er – erschöpft, tief wie lange nicht und traumlos.









Klaus-Harms-Kontra-Bass

Klaus Harms im Wuppertaler Jazz-Klub »Loch« im September 2017







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  Klaus Harms



Klaus Harms, geboren 1950 in Wuppertal, einer der Geburtsstätten des Free-Jazz, studierte Theologie, Pädagogik und Psychologie. In Schülerzeiten gehörte er als Gitarrist zur Beat-Band-Szene. Der Gitarre folgte mit dem Kontrabass die Öffnung für den Jazz und freie, improvisierte Musik. Als Angehöriger der 68er Generation und Student an der roten Uni Marburg kam er mit gesellschaftskritischem Gedankengut in Berührung. Emanzipation und Selbstwerdung waren die Themen dieser Zeit, in die auch die Beschäftigung mit Humanistischer Psychologie und Tiefenpsychologie fällt. Durch die Theologie und die frühe Begegnung mit dem Buddhismus bekamen diese Impulse einen spirituellen Grund. Es folgten Jahre in psychosozialen und lehrenden Berufen. Klaus Harms lebt in Wuppertal, schreibt, musiziert, komponiert - und unterhält eine Praxis für psychologische Beratung.

Bisherige Veröffentlichungen – neben diversen wissenschaftlichen Publikationen: »Die Reise nach Überall«, »Der Ralasander«, »Das Mondschiff«, »Der Möglichmacher«.

Im NordPark Verlag erschien:

Harms-Der-Möglichmacher-Roman

Der Möglichmacher
































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