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Harms-Der-Möglichmacher-Roman

Klaus Harms
Der Möglichmacher

Roman.
Paperback. 276 S.; 2017; EUR 15,90;
ISBN: 978-3-943940-36-7



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Riskante Flucht aus der bügerlichen Bequemlichkeit

Harry, ein alternder Lehrer, liebäugelt seit vielen Jahren mit dem unkonventionellen Künstlerleben seines Freundes Pecko.
Der bereist mit seinem Kontrabass die ganze Welt und gehört zu einer Künstleravantgarde, die die Musik mit freier Improvisation revolutioniert.
Musikalische Formen werden gesprengt, die Welt wird zum Dorf, in dem jeder jeden versteht, weil es keine festgelegten musikalischen Sprachformen und deshalb auch keine kulturellen Grenzen mehr gibt. Harry ist beeindruckt von diesem künstlerischen und politischen Freiheitsgedanken. Seine Versuche, sich aus der bürgerlichen Bequemlichkeit zu befreien, sind bisher erfolglos geblieben. Bis er eines Tages Haus und Familie verlässt und Pecko auf einer riskanten Tour nach Sibirien begleitet.




Ausführliche Leseprobe (pdf-Datei)




Prolog

Die Rückschau ist nicht meine Lieblingsperspektive. Aber sie stellt sich ungebeten ein, ausgerechnet, seit mir das Umdrehen schwerer zu fallen beginnt. Das Älterwerden bringt Paradoxien mit sich. Es ist nicht notwendig an ein bestimmtes Lebensalter gekoppelt. Zahlen sind nicht bindend. Es schleicht sich irgendwann an, und wenn du es bemerkst, hat es längst Teile deines Innenraums erobert.

Auf einmal siehst du Krähen auf dem Dach. Auf einmal sinkst du nach einem Konzert in graue Leere, bist erstaunlich lange zufrieden, wenn du mittags unter einem Plaid auf der Liege gar nichts denkst. Oder der Winter wird dir zum Feind, die Kälte greift dir an´s Gemüt. Blattlose Bäume werden zum Symbol.

Nein, schön ist das nicht. Ein Hauch von Melancholie und Abschied legt sich über Kinobesuche, Wanderungen und Beischlaf. Ein leises, trauriges Ziehen im Inneren wird zum ständigen Begleiter. Es ist die Einsamkeit dessen, der weiß, dass er demnächst gehen wird. Es ist phasenweise ein Schon-nicht-mehr-so-richtig-Dazugehören, unterbrochen von dem trügerischen Gefühl, alles sei unverändert intakt.

Das alles spielt sich im Verborgenen ab. Das Leben drumherum bleibt vorerst, wie es ist. Die heimliche Wandlung vollzieht sich für andere unsichtbar. Willst du sie mit jemandem teilen, stößt du auf Unverständnis oder joviales Schulterklopfen.

Noch mit vierzig habe ich in die Zukunft geschaut wie auf´s offene Meer. Jetzt erscheint mir die kommende Zeit wie der Aufschub des Unvermeidlichen. Eine ungemütliche Furcht hat Besitz von mir ergriffen.

Auch macht sich in mir eine Unsicherheit breit. Von allen Seiten wird mir angetragen, ich solle mich im Loslassen üben, das Leben mit leichter Hand dahin zu geben, sei die Kunst des Altwerdens.

Aber wie kann ich etwas leichthin aufgeben, womit ich glücklich bin? Je mehr ich fühle, dass mir das Leben gelungen ist und dass ich Erfüllung gefunden habe, desto schwerer muss es mir doch fallen, es preiszugeben. Auch so eine Paradoxie. Viele versuchen es auf dem Umweg über die Entwertung: das Leben als Jammertal, der Tod als Erlösung, die Zukunft danach als eschatologisches Wunder. Aber das liegt mir nicht. Ich halte es für wenig wahrscheinlich, dass es so kommt. Da bin ich nüchtern.

Eher bin ich bereit zu sagen: Es ist genug. Auf das, was kommt, bin ich nicht neugierig. Die mentalen Aussetzer, die Paradontose, den süßlich milden Geruch des Alters in den Klamotten, die hilflosen Fragmente der Lust und die Harmlosigkeit des Greisen will ich nicht erleben.

Es ist unverantwortlich, aber ich möchte gehen. Ja, ich denke, es ist Zeit.

Wenn es doch etwas gibt, das einen Aufschub rechtfertigt, dann ist dies der frühe Tod meines Freundes Pecko. Von allen, denen ich durch Freundschaft verbunden bin, ist er der Prägnanteste, der, der den meisten formenden Einfluss auf mich hatte. Sicher auch der, der die meisten Fragezeichen hinterlassen hat. Unser beider Leben berührten sich nur an den Rändern. Wir haben nicht viel Zeit miteinander verbracht, aber immer folgten unseren Begegnungen Richtungswechsel, Bedeutungswandel, Suche.

Nie bin ich mit ihm mitgefahren. Ich habe nicht einmal gefragt.

Gäbe es etwas, wofür zu bleiben sich noch eine Weile Gründe fänden, wäre dies eine wilde und gefährliche Reise mit Pecko.

Es wäre schön, würde sich unter meinen Erinnerungen die an eine gemeinsame Tour mit ihm finden.

Nein, es wäre nicht nur schön, es ist mir unverzichtbar. Ich werde mir noch eine Zeit nehmen, um diese Reise zu schreiben.

Die Imagination hat ja eine ähnliche Qualität wie die Erinnerung. Beide sind Bilder für etwas, das es nicht gibt, reine Gedankenräume. Und so können wir fehlende Erinnerungen und Erfahrungen durch Einbildung ersetzen, Imagination, können reisen, wohin und mit wem wir wollen. Ein freies Spiel des Geistes.



I
Es war der Tag, an dem Pecko seinen Wagen packte. Einige seiner wenigen Habseligkeiten waren schon im Tourbus verschwunden, da nahm er ein letztes Mal den Weg vom Haus zum Wagen, auf dem Rücken sein riesiger, schwarz umhüllter Kontrabass, in der Linken eine Segeltuchtasche. Er sah mich mit geradem Blick an, nahm ein Briefcouvert entgegen, das ich ihm hinstreckte, und sagte: »Danke.« Ein Lächeln noch, das seine Augen für einen Moment wärmer werden ließ, dann stieg er ein.

Das war der Augenblick, in dem ich rief, was ich ihm so oft stumm hinterher gerufen hatte. Wenn er bei mir im Garten gesessen und nach dem letzten Grappa gesagt hatte: »Ich muss jetzt los.« Wenn ich ihm im Café du Congo den obligatorischen Umschlag über den Tisch geschoben hatte und die Antwort bekam: »Das ist es, was ich an dir so schätze.« Er schaute nie hinein. Er wusste, dass das kleine, schwere, spindelartige Ding darin wieder intakt war für die nächste Konzertreise. Ich rief also, ohne es geplant zu haben und mit der Ahnung, dass dies die letzte Möglichkeit war: »Nimm mich doch gottverdammtnochmal mit!« Und schon gefiel es mir nicht mehr. Besser wäre ein lautes und klares: »Ich will ...!« gewesen.

Er drehte sich um. Ich sah, dass er blass war und müde. Die Operation hatte Spuren hinterlassen. Noch einmal wurden seine Augen wärmer. Ich hörte sein Ok nicht, aber es kam rüber, in einem kaum sichtbaren Nicken, fast ein bisschen erleichtert. Mir war eine leise Traurigkeit in seinem Abschied nicht entgangen. Für gewöhnlich reiste er voller Ideen und eher euphorisch ab. Vor seiner Amerikatournee hatte er für niemanden Zeit gehabt. Vor seiner letzten Griechenlandtour hatte er nur so gesprüht. Aber diesmal war ein feiner Zug von Melancholie und Zurückhaltung zu spüren, vielleicht auch ein leises Ahnen, dass seine schier unauslotbaren Kräfte an ihre Grenze geraten waren.

Von allem, was dann war, ist mir nur noch sein leicht amüsiertes Erstaunen in Erinnerung, als er mich wenig später mit meinem Kontrabass da stehen sah. Er sagte nichts, aber alles in ihm fragte: »Was willst Du jetzt damit?« Und wir hatten eine Weile damit zu tun, unser Gepäck und die beiden Bässe zu verstauen.

Bevor er losfuhr, schaute er mich noch einmal an. Dann zog er die Nase hoch und legte den Gang ein.

Ich war nur kurz zu Hause gewesen. Ich brauchte nicht viel Zeit, um zu packen. Pecko hatte mir von seiner New Yorker Wohnung erzählt, wo es außer ein paar Gegenständen für den täglichen Bedarf nur ein Futonbett und seinen Kontrabass gab. Das Bild einer bis auf diese wenigen Dinge leeren Wohnung half mir, mich zu beschränken. Schreibzeug brauchte ich, meinen Bass, Wäsche, Outdoorklamotten, keine Noten, meine Kamera, mein Tagebuch. Irgendwie nur mich. Zurück blieb mein bisheriges Leben. Henriette, der ich keine Gelegenheit zu Verstehen und Abschied bot, meine beiden erwachsenen, mit ihrem Leben und mit ihren Familien befassten Söhne, denen ich keine Erklärung gab, und eine Menge unerledigter beruflicher und privater Verbindlichkeiten, mit denen ich Henriette allein ließ, ich Schwein. Das Haus, das ich jahrelang saniert hatte, die Holzdielen, die Kopfsteinpflaster-Terrasse, der sorgsam nach dem Plan einer Gartenbauarchitektin angelegte Garten, der kleine Erker mit dem Frühstückstischchen und den beiden grau lackierten Stühlen. Die Bücher, – die Bücher. Ich schloss ein Leben ein, das nicht mehr meines war, als ich die Haustüre absperrte, und wunderte mich, wie leicht mir das fiel, wie brutal ich mit Henriette sein konnte, wie feige ich war, wie fahnenflüchtig. Ich drehte mich nicht einmal mehr um, als sei diese Reise eine längst beschlossene Sache gewesen, als hätte ich dieses eben abgesperrte Leben schon vor langer Zeit verlassen.

Im Bus kramte ich in meiner Hosentasche nach einem Taschentuch und tastete den Hausschlüssel. Er flog im Bogen aus dem Fenster, bevor irgendeine Aufsicht führende Instanz in meinem Inneren Einspruch erheben konnte.

Unsere Tour hatte begonnen, zweifellos.

Ein langgezogener Trompetenton drang in meinen Schlaf und zog mich unnachgiebig ins dämmrige Hier und Jetzt.

Pecko hatte das Autoradio eingeschaltet und suchte vergeblich nach einem Verkehrsfunksender. Schließlich blieb er an einer alten Miles Davis-Nummer hängen und klopfte mit den Fingern den Beat ins Lenkrad.

Mein Mund war trocken. Ich fühlte mich klamm.

Draußen zogen Weinberge vorbei. Kaum zu erkennen in Zwielicht und Regen. Der Fahrtwind trieb Tropfen fächerförmig über die Seitenscheibe. Ein glitzernder, perlender Vorhang, der den letzten, fahlen Lichtschimmer brach.

Ich lehnte mich zurück und fühlte, wie die Spannung im Bauch nachließ. Ich atmete tief und langsam. Es gab nichts zu tun im Augenblick. Ich konnte nicht mehr eingreifen. Alle Entscheidungen waren gefallen.

Eigentlich hätte ich jetzt Angst haben müssen, richtige Angst, existenzielle Angst. Aber nichts tat sich. Ich horchte eine Weile in mich hinein, als würde ich auf einer Kellertreppe stehen, um da unten im Dunkeln nach verdächtigen Geräuschen zu forschen.

Aber keine Spur von Bedrohung, kein Laut, der Böses ahnen ließ.

Ich war im Schlaf tief in den Sitz gerutscht und blieb erst einmal so liegen, ohne zu erkennen zu geben, dass ich wach geworden war. Durch schmale Lidschlitze sah ich das graue Straßenband auf uns zu treiben. Der alte Bus schluckte die weißen Fahrbahnmarkierungen wie ein behäbiges, gefräßiges Tier. Mal langsam, wenn er mühsam eine Steigung nahm, mal flotter, wenn er sich stöhnend zu Tal gleiten ließ. Der Diesel ließ alles um mich herum vibrieren. Die Scheibenwischer fuhren müde hin und her.

Ein fast vergessenes, lange nicht empfundenes Gefühl stellte sich ein. Ich hatte nichts Wichtigeres zu tun, als hier in diesem Bus zu sitzen. Ich hatte nichts vor, keine Pläne, kein Ziel.









Klaus-Harms-Kontra-Bass

Klaus Harms im Wuppertaler Jazz-Klub »Loch« im September 2017







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Literarische Texte und Texte zur Literatur


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Klaus-Harms-Kontra-Bass
  Klaus Harms



Klaus Harms, geboren 1950 in Wuppertal, einer der Geburtsstädte des Free-Jazz, studierte Theologie, Pädagogik und Psychologie. In Schülerzeiten gehörte er als Gitarrist zur Beat-Band-Szene. Später folgte mit dem Kontrabass die Öffnung für den Jazz. Als Angehöriger der 68er – Generation studierte er an der »roten« Uni Marburg. Die südamerikanische »Theologie der Befreiung« übte einen prägenden Einfluss auf ihn aus. Emanzipation und Selbstwerdung waren die Themen dieser Zeit. Durch die frühe Begegnung mit dem Buddhismus bekamen diese Impulse einen spirituellen Grund. Es folgten Jahre in psychosozialen und lehrenden Berufen. Klaus Harms lebt z.Z. in Wuppertal, schreibt, komponiert – und arbeitet als psychologischer Berater.

Bisherige Veröffentlichungen – neben diversen wissenschaftlichen Publikationen: »Die Reise nach überall«, »Der Rala­sander«, »Das Mondschiff«.

Im NordPark Verlag erschien:

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Die Magie des Nutzlosen






























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