Wer Peter Casparys Arbeit länger kennt, ist ihnen schon öfter begegnet, diesen seltsamen Sprachgebilden, deren Gattung unklar ist, zwischen Notiz, Reflexion und Beobachtung schwankt. Die notierte Schrift, die Bedeutungsgehalte der Worte, die sie formt, sie sind Notate des malenden, zeichnenden Künstlers, der sich selbst bei der Arbeit zusieht. Mit dieser Parallelführung bieten Casparys "Auf-Zeichnungen" den Glücksfall, ein ästhetisches Bewusstsein in der Bewegung beobachten zu können, die die Bildwerke, die wir vom Maler kennen, entstehen lässt. Denn so, wie in seiner Malerei immer der Zeichner die Hand führt, so ist der Maler in den Bewusstseinsbewegungen immer gegenwärtig.
Andreas Steffens
»Die Arbeit wird so oder so getan«
Peter Casparys ›Mondgesang‹
Früher sagte man,
die Dichter malten mit Worten;
auch die Maler können es.
Michel Butor
Schreibende Maler gab es viele; malende Schriftsteller einige; Philosophen, die malen, fast keine. So ist es nach Traditionslage und Metiergrenzen vordergründig ebenso unpassend, wie untergründig nahe liegend, dass ein malender Philosoph Texte eines schreibenden Malers in die Öffentlichkeit geleitet, die in einem literarischen Verlag erscheinen.
Wer Peter Casparys Arbeit länger kennt, ist ihnen schon öfter begegnet, diesen seltsamen Sprachgebilden, deren Gattung unklar ist, zwischen Notiz, Reflexion und Beobachtung schwankt. Sie waren der ersten grossen Dokumentation ›Umrisse‹ von 1990 ebenso beigegeben wie einer Reihe kleinerer Auflagendrucke und Kataloge seitdem. Zwischen 1987 und 2007 entstanden, versammelt der ›Mondgesang‹ sie zum ersten Mal vollständig. Umgekehrt zu den bisherigen Veröffentlichungen, ist dieser Sammlung nun zwingend eine Auswahl von Zeichnungen beigefügt, aus dem über Jahre hin entstandenen Zyklus »Bio-Gravitation«. Denn das eine entsteht bei diesem Künstler nicht ohne das andere.
Die Uneindeutigkeit Ihrer ›Gattung‹ tut den Texten keinen Abbruch, denn sie sind keine literarischen Einsätze. Unbestreitbar literarisch, sind sie vielmehr unmittelbarer Bestandteil des die ganze Person umgreifenden künstlerischen Prozesses, aus dem Casparys bildnerisches Werk entsteht. Tage- und Skizzenbuch sind gleichrangig, wenn nicht identisch. Auch für ihn gilt, was Bernard Schultze von der Beziehung zwischen seinen Bildern und seinen Aufzeichnungen feststellte:
Der Vorgang des Machens ist derselbe in allen Kategorien (Schultze, Pictor Poeta, 20). Denn alles spielt sich ab in dem individuellen Kosmos eines ›Inneren Monologs‹.
Wer auf die Rezeptionssicherheit einer ›Gattung‹ dennoch nicht verzichten mag, und wem das geschriebene Skizzenbuch, das gezeichnete und wortakzentuierte Tagebuch dazu nicht ausreichen, der mag diese Aufzeichnungen »Lyrismen« nennen.
Rote Suppen / Brodeln / Kalt / In den Kapillaren / Schütten / Ihren giftigen Saft / Ins Grüne / Reagieren gereizt / Auf / Künstliche Eingriffe.
Bleibe / In meinem / Unglück / Zurück / Und / Bade / Im / Weihwasser / Meine / Unschuld / Heraus / In die Welt.
In Wortfolgen wie diesen ist die Grenze zur Lyrik überschritten.
Casparys Sprache aber ist vor allem Teil seines Bildens. Nicht nur, dass Schrift immer wieder buchstäblich in Bildern, Zeichnungen und Graphiken auftaucht. Die Sprachbewegung, die sich in Texten äussert, ist poietisches Moment des Vorganges, aus dem die Bilder hervorgehen. So sehr, dass die formensuchende Hand des Zeichners, die diesen Prozess bestimmt, die innere Struktur des Bildes, gleich in welcher technischen Gattung, ›schreibt‹. Damit steht er in der Tradition des Informel und der skripturalen Malerei, deren graphische Gestik seine Hand bis heute führt.
Unverkennbar ist, dass auch der Maler Caspary vor allem und immer Zeichner ist. Die in den letzten Jahren fortschreitende Lösung aus dieser Tradition in der Ausarbeitung einer pseudorealistischen Malerei über Malerei, die nun die vorgegebenen Formstereotypen unserer Wahrnehmung malend erforscht, statt malend Formungen der reinen Imagination zu erproben, hat diese Grundbeziehung nicht aufgehoben.
Die Hand des Zeichners bringt nicht nur hervor, was auf dem Papier erscheint – sie lässt es in der Unmittelbarkeit ihres Bezuges zum Bewusstsein entstehen.
Ich wüßte keine Kunst, die das Denkvermögen allseitiger in Anspruch zu nehmen vermöchte als das Zeichnen. Ob es sich nun darum handelt, aus der Komplexität der Schau den Fund des einzigen Striches herauszulösen, ein Gefüge schlagend wiederzugeben, Herr über seine Hand zu bleiben, eine Form, noch ehe sie niedergeschrieben, im Geist abzulesen oder auszuprägen; oder ob umgekehrt die Erfindung den Augenblick beherrscht, die Idee sich Gehorsam erzwingt, sich klärt und um ebensoviel sich bereichert, als auf dem Papier, unter den Augen aus ihr wird -: immer werden bei dieser Arbeit sämtliche Geistesgaben zur Anwendung gelangen, nicht minder als in ihr alle Eigentümlichkeiten des Menschen, so er schon solche besitzt, zum Vorschein kommen (Valery, Degas, 102 f.).
Die Zeichnung ist die Konvergenz- und Übergangszone zwischen der bildenden und der schreibenden Hand. Der schreibende Zeichner, der zeichnende Schreiber, sie realisieren das älteste Erbe der Menschwerdung: die Entstehung des Elementarwerkzeugs ›Hand‹ in der magischen Bewegung, mit der die Zeichnungen an die Höhlenwände der Vorzeit gebracht wurden. Bildformung und Sprachformung sind zwei Bewegungen innerhalb desselben Vorgangs.
Die unmittelbare Verbundenheit eines sich in produktive Bewegung versetzenden Bewusstseins mit der zeichnenden Hand, die den sich bildenden Gedanken, den sich einstellenden Erinnerungen und den parallel laufenden Wahrnehmungen Zeichen sucht und Formen gibt, macht das Bildnertum selbst zu dem, was Gerhard Hoehme die Selbstbetrachtung des Bewusstseins nannte. Schreibend wird festgehalten, und in eine andere Gestalt versetzt, was zu den Bildern drängt. Allein die Genauigkeit der Handbewegung gewährleistet die Wahrhaftigkeit des Auges (Caspary, Zeitsprünge).
Die notierte Schrift, die Bedeutungsgehalte der Worte, die sie formt, sie sind Notate des malenden, zeichnenden Künstlers, der sich selbst bei der Arbeit zusieht. Mit dieser Parallelführung bieten Casparys »Auf-Zeichnungen« den Glücksfall, ein ästhetisches Bewusstsein in der Bewegung beobachten zu können, die die Bildwerke, die wir vom Maler kennen, entstehen lässt. Denn so, wie in seiner Malerei immer der Zeichner die Hand führt, so ist der Maler in den Bewusstseinsbewegungen immer gegenwärtig. Auch die geschriebenen Kopfbilder sind farbgeprägt:
Unbeachtet / Wächst mir ein Urwald im Kopf / Spuckt mir / Ein sattes Grün auf die Füße / Und es kümmert nicht: Ein roter Schatten versinkt / Im Staub. Oder: Und darüber / Schwimmen / Glanzlose Fettaugen / Matte Ocker-Spuren.
Es bleibt nicht bei der Reihung von Notaten der Selbstbeobachtung des Bewusstseins, das aus der Wahrnehmung in die Gestaltung seiner Gehalte drängt. Sie erweitert sich immer wieder zur disziplinierten Selbstverpflichtung der bildnerischen Arbeit. Die sprachlich artikulierte Reflexion des permanenten bildnerischen Prozesses zielt ab auf die Sicherung seiner internen Regeln und Maßstäbe. Immer ist der Autor, der als Maler ein Spurenleger ist, als Techniker des Bildens sich selbst auf der Spur:
Überwiegend Rot lodert aus dem Grund / Die Struktur ist aufgebrochen / An geometrischen Flächen / Tiefes Schwarz / Erkennbar sind pseudoreale Formationen / Keimzellen wuchern.
Das so gewonnene klare Bewusstsein des eigenen bildnerischen Handelns stellt sicher, dass die schon früh in seiner Laufbahn gewonnene Virtuosität sich nicht in steriler Geläufigkeit verliert.
Vorsicht ist mir geboten / Bei so viel / Leichtigkeit. Die nüchterne Differenzierung des Eigenen nach Können und Unvermögen schützt vor der Selbstverliebtheit, die das ästhetische Können von den Impulsen des eigenen Lebens lösen, und zur Bedeutungslosigkeit verurteilen müsste.
Wenn ich zeichne / Bin ich fern / Wenn ich sehe / Bin ich zu nah / Wenn ich spiele / Bin ich zu eifrig / Wenn ich leide / Bin ich zu tief / Wenn ich träume / Bin ich zu wach / Wenn ich gehe / Lauf ich hinterher.
Diese Summe selbstkritischer Wahrnehmung ist die Brücke zu dem elementaren Bewusstsein der Banalität der Existenz, das gerade der nicht verlieren darf, der sein Künstlertum als Lebensführung betreibt. Am Abend / Den Verstand in Rotwein ertränkt / Nacheinander kleine Welten / Verschwenderisch ins Klo gekotzt / Danach / Wie neugeboren. Das bewahrt den Virtuosen davor, seine Produktion an den Kitsch zu verlieren, und sein Atelier zur Manufaktur von Ornament und Wandschmuck verkommen zu lassen.
Bei alldem ist unverkennbar, dass die Wort-Bild-Kombination das Lebens-Handwerk eines Melancholikers trägt, der fähig wurde, sich selbst zur produktiven Versagung falscher Erwartungen zu verpflichten:
Und / Am Ende / Steht / Oft nur bittere Resignation. Die eigene Zeitgenossenschaft nämlich lässt keinen Zweifel daran, dass das existentielle Künstlertum, ein Leben aus ihr und für die Kunst, einen aus der eigenen Zeit immer stärker verdrängt. Die Zeit hat auch bei dir / Ihre Zeichen in die Haut tätowiert / Mahnmale / Die vor Übertreibung / Warnen.
Das betrifft nicht nur den Vorgang des Alterns, in dem das Unding Zeit erfahrbar wird; es betrifft vor allem den Sinn eines Künstlerlebens. Ausserhalb der individualistischen Einsamkeit einer solchen ästhetischen Disziplin, die mit Lebensführung identisch ist, gibt es nichts mehr, was ihr eine Rolle im großen Ganzen gewährleisten könnte. Die gesellschaftlich zelebrierte und in ihrem Betrieb zerriebene Kultur ist kein Daseinspartner mehr für die, die deren Produktion als gestaltetes Verständnis der Welt und unseres Daseins in ihr zum Inhalt ihres Lebens machen.
Genau darin trifft diese einsame sprach-bildnerische Reflexion des Metiers künstlerischen Bildens sich mit der Kunst des Denkens.
Wachsam / Das Sehen / Auf Alles gerichtet / Beharrlich / Das Betrachten / Genau das Bestimmen / Rätsel lösen / Auf Allen Ebenen / Versuchen / Zu Verstehen.
Während der Künstler durch die Gestaltung seiner Wahrnehmungen hindurch zum Verstehen vordringt, nimmt der Philosoph seinen Weg über die Reflexion des Wissens. In der Zeichnung treffen beide, Gestaltung und Reflexion, in unmittelbarer Durchdringung aufeinander.
Aber die Resignation behält nicht das letzte Wort.
Die Arbeit / Wird so oder so getan / Ohne äusseren Drang / Mit Leidenschaft und Neugier / Neu entwickelt / Tag für Tag / Nacht für Nacht.
Ihrer Vermeidung kommt ein letzter Vorbehalt halbbewusster Ausübung des eigenen Metiers zugute, der Verzicht darauf, die Strenge der Reflexion in jedem ihrer Momente aufrechtzuerhalten, sondern sich immer wieder dem unkontrolliert zu überlassen, was noch bei der überlegtesten Arbeit aus dem Unbewussten, dem Traum und dem Rausch in die Bilder drängt. Dann hält dieses Lebenstun bereit, wonach wir uns unablässig sehnen, und was uns selten zuteil wird, den glücklichen Tag:
Mit Bildern / Im Kopf / Angstschwellen / Übersprungen / Ohne es zu wissen / Einen Tag gerettet.
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