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KARL OTTO MÜHL
EIN SCHAUSPIEL
ENTSTEHT
Wie so oft bei neuen Initiativen, war beim Festspiel und Volksstück »Das Privileg« die Absicht vor dem konkreten Inhalt vorhanden. Man wußte einfach nur, daß Wuppertal ein Festspiel über seine frühe Geschichte haben sollte.
Die aber war einfach und bekannt.
Sie bestand in der langsamen, aber flächendeckenden Entwicklung des Bleicher- und Färbergewerbes an den Ufern der Wupper. Gebleichtes Garn aus dem Tal der Wupper war berühmt und hatte einen großen Abnehmerkreis. Aber es gab zunehmend Konkurrenz, die es auszuschalten galt, sollte der wirtschaftliche Mittelpunkt des Tals gedeihen und wachsen. Die Initiative von Bürgern, die sich an Herzog Johann III in Düsseldorf wandten, schaffte es, ein Monopol, das Privileg, gewährt zu bekommen, und zwar gegen Zahlung von 861 Goldgulden, die von 42 Bürgern, Kaufleuten und Bleichern, aufgebracht wurden. Die Dokumente darüber sind erhalten, zusammen mit Listen und Abrechnungen und Akten über gerichtliche Auseinandersetzungen.
GEROLD THEOBALT
EIN STÜCK (FÜR) WUPPERTAL Am
1. Juni 2001 fand die letzte Premiere in der 13jährigen Amtszeit des
Wuppertaler Intendanten Holk Freytag statt. Daß es sich dabei um die
Uraufführung eines Stückes von Karl Otto Mühl handelt, ist keineswegs
zufällig. Schließlich gehört der Wuppertaler Schriftsteller seit vielen
Jahren zu den treuesten Weggefährten der scheidenden Theaterleitung.
Bereits
die erste Spielzeit im Tal brachte Holk Freytag und sein Ensemble mit dem Autor
so wichtiger Stücke wie »Rhein-promenade« oder »Kur in Bad Wiessee«
zusammen, die den Wuppertaler Bühnen unter Arno Wüstenhöfer Anfang der 70er
Jahre bereits überregionale Anerkennung beschert hatten. Der erste Auftrag an
Karl Otto Mühl war eine Bearbeitung des Schauspiels »Die Weber« von Gerhart
Hauptmann (in der Spielzeit 1988/89), die Mühl mit sicherem Gespür für die
sprachlichen Nuancen aus dem schlesischen Original in das bergische Idiom
übertrug. Fünf Jahre später dann ein Stück zur Wuppertaler Stadthistorie:
»Ein Neger zum Tee« heißt die tragikomische Geschichte um den
Schwarzafrikaner Kangafu, den ein brutaler Schausteller in der Zeit um 1820 wie
einen Sklaven hält und als Kirmesattraktion mißbraucht. Doch dann wird ein
Kreis begüterter Pietisten auf sein Schicksal aufmerksam. Sie kaufen Kangafu
frei und beginnen mit der intensiven Missionierung des »armen Heiden«, der
schließlich den Rest seines Lebens in den Von-der-Reckschen-Anstalten bei
Düsseltal fristen muß
Mit
diesem Stück gelang Mühl der Balanceakt, einen sozialkritischen Stoff mit
melancholischem Humor den Nachgeborenen verständlich zu machen. In einem
kontrapunktischen Handlungsstrang brachte er die Gegenwart mit ins Spiel: Zwei
Wuppertaler Handlungsreisende mühen sich in einem afrikanischen Land vergeblich
um den Absatz ihrer heimischen Textilprodukte – späte Nachwehen eines
Kolonialismus, der auch den Schwarzen Kangafu ins Bergische Land gebracht hatte.
Mühls
neues Stück »Das Privileg« knüpft an die Erzählweise des »Neger zum Tee«
an. Die Vorgänge um die Verleihung des Bleicherprivilegs im Jahre 1527 spiegeln
sich in den vielen kleinen Einzelgeschichten der Elberfelder Kaufleute, der
Knechte und Mägde, die ihre Träume vom kleinen persönlichen Glück an die
Verleihung des Privilegs knüpfen. Es ist die Zeit nach der blutigen
Zerschlagung der Bauernaufstände, ein Ereignis, das den unteren Schichten des
Heiligen Römischen Reiches für Jahrhunderte jeden rebellischen Geist
austreiben sollte. Widerstand gegen die Obrigkeit war fortan vor allem religiös
motiviert. Die wachsende Bewegung der Reformation verband sich mit den
politischen Bestrebungen des prosperierenden Bürgertums, das dank seiner
wachsenden ökonomischen Potenz zu starkem Selbstbewußtsein fand. Bankhäuser
wie das der Fugger in Augsburg verkehrten in Augenhöhe mit den Mächtigen der
Welt. Ihr größter Schuldner war Kaiser Karl V.
Solche
Beispiele verwiesen die Elberfelder und Barmer Kaufleute auf einen dritten Weg
jenseits von Untertänigkeit und offener Rebellion: Was sich politisch nicht
erstreiten ließ, konnte man sich vielleicht erkaufen. Für den Erfolg
derartiger Geschäfte gab man dann auch gern ein Stück Solidarität auf: Zum
Beispiel mit den Nachbargemeinden, für die das Bleichermonopol der Barmer und
Elberfelder einem ökonomischen Desaster gleichkam. Wollten sie weiter der
Produktion von Weißgarn nachgehen, so blieb ihnen kaum etwas anderes übrig,
als sich bei den neuen Monopolisten zu verdingen. Daß die Gesamtregion
langfristig von der Verleihung des Privilegs profitieren würde, ja, daß damit
das Fundament für den beispiellosen Aufschwung der Bergischen Industrie gelegt
wurde, konnten die Betroffenen nicht ahnen. Politische Zurückhaltung legte man
sich auch in Glaubensdingen auf. Der Fall des Predigers Adolf Clarenbach zeigt
das allzu deutlich. Man wagte keinen Protest gegen die Herren der Inquisition,
um den mächtigen Erzbischof zu Köln nicht zu verärgern. So wurde Clarenbach
als Ketzer auf dem Melatenhügel vor den Toren Kölns öffentlich verbrannt.
Karl
Otto Mühl macht diese Vorgänge in seinem Kammerspiel transparent, ohne die
Figuren dabei an den Pranger zu stellen. Die Kommentare überläßt er der
Elberfelder Dichterin Else Lasker-Schüler. Das erlaubt dem Publikum einen
verfremdeten Blick auf die Geschichte aus der Perspektive einer Frau, die zu
ihrer Zeit als Jüdin und unbotmäßige Künstlerin erfahren mußte, was es
bedeutet, geächtet und aus der Heimat vertrieben zu werden. Die Lasker-Schüler
weiß um die Schwächen der Menschen; sie kennt die Ignoranz der Satten und
Saturierten ebenso wie den Fanatismus der Verzweifelten, die sich lieber
verbrennen lassen, als ein Jota von ihrer absoluten Wahrheit abzuweichen. Mit
den Augen der Dichterin blickt der Zuschauer auf das Bühnengeschehen und
erkennt es als seine eigene Geschichte.
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