Jeanette Erazo Heufelder
Der Blumenkrieger
Erzählung
Mai 2011, Euro 11,00 [D]
Paperback, 100 S.
ISBN: 978-3-935421-75-1
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Psychogramm eines Mörders
Er sei mit seiner Mutter in einen Blumenkrieg verwickelt gewesen,
sagt er, wie ihn die Indianer Altmexikos führten. Der Sinn jener
Blumenkriege bestand darin, den Nachschub an Menschenopfern
zu garantieren, damit die Sonne erneut aufgehen konnte.
Ende der Zwanzigerjahre bringt ein junger Mann seine Mutter
um und stellt sich freiwillig der Polizei. Der Fall macht Schlagzeilen. Während der Untersuchungshaft
schreibt der junge Mann einen Lebensbericht, welcher der Geschichte des Blumenkriegers das Grundgerüst
geliefert hat einer zum Psychogramm eines Mörders verdichteten Erzählung.
Die Erzählung »Der Blumenkrieger« basiert auf einem Vorfall aus dem Berlin der Zwanziger Jahre:
Max Calisto Thielecke, der sich den Namen Sujamani gegeben hat, wird 1930 wegen Mordes an seiner
Mutter verurteilt. Sein während der Untersuchungshaft geschriebener, realer Lebensbericht liefert die
Eckdaten dieses Textes einer zum Psychogramm eines Muttermörders verdichteten Erzählung. Die
Autorin hat die Geschichte nach München verlegt und dem Protagonisten den Namen Ludwig Bücherl
gegeben.
Einfühlsam arbeitet sie die beklemmende Grundstimmung dieser Mutter-Sohn-Tragödie heraus und
zeichnet nach, wie der Sohn auf seiner Flucht vor der ihn vereinnahmenden Mutter in eine Fantasiewelt
abdriftet. Denn in der wirklichen Welt ist er gezwungen, auf engstem Raum mit einer Mutter zusammen
zu leben, die ihm kein eigenes Leben lässt. In der Welt in seinem Kopf, in der sich indianische Weltvorstellungen
wahnhaft mischen, kann er sich neu erfinden und sogar die Katastrophe die Tötung seiner
Mutter zu einem welterhaltenden Element verklären.
Pressestimmen:
Schnittmenge Mexiko
Die Ethnologin und Sachbuchautorin Jeanette Erazo-Heufelder sucht nach der Wahrheit des mexikanischen Drogenkrieges. Und in ihrem literarischen Debüt untersucht sie einen ganz besonderen Kriegsschauplatz.
Eine Doppelrezension von Ulrich Noller
Jeanette Erazo Heufelder hat dieses wahre Ereignis aus dem Jahr 1920 für ihre Erzählung "Der Blumenkrieger" von Berlin nach München verlegt - und eine lesenswerte Reflexion über ein ganz spezielles Mutter-Sohn-Verhältnis daraus gemacht. Eine kleine, konzentrierte Geschichte, die auf engem Raum große Fragen von Schuld, Macht, Missbrauch und Verantwortung auslotet.
Ulrich Noller, Funkhaus Europa
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Jeanette Erazo Heufelder zeichnet in "Der Blumenkrieger" das Psychogramm eines Mörders. Das Buch basiert auf einer wahren Geschichte und zeigt: einfacher ist besser. Ein dichter, empathisch geschmiedeter Text über einen Mörder und über eine Tat, die man letztenendes zwar ein wenig begreift, aber dennoch nicht ganz versteht. Aber der man sich mit dem dichten Psychogramm annähren kann, das Heufelder entwirft. Ein Text, der bis an die Grenzen geht die des Begreifens und die der Krimi-Genres.
Reinhard Jahn, FOCUS
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Leseprobe
Er saß erst seit einer Woche in Untersuchungshaft,
aber die Leute auf der
Straße hatten ihr Urteil über ihn bereits
gefällt. Sie forderten lebenslänglich. Er
hatte kaum Hoffnung, dass das Urteil
der Justiz milder ausfallen würde, auch wenn von Totschlag
und noch nicht von Mord die Rede war. Seine Gefährlichkeit
wurde so groß eingeschätzt, dass der Untersuchungsrichter
Haftantrag wegen Fluchtgefahr erlassen hatte.
Natürlich hätte er zu fliehen versucht. Wenngleich er selbst
am allerwenigsten daran glaubte, dass ihm die Flucht gelungen
wäre. Er hatte in der Vergangenheit schon mehrfach
versucht, davonzulaufen. Und war jedes Mal gescheitert. Er
floh bis in die peruanische Pampa, und landete am Ende doch
immer wieder in München, in den Armen seiner Mutter, die
jedes Mal fester zudrückten, bis ihm irgendwann gänzlich
die Luft wegblieb.
Dass das Ganze ein Unglück war, glaubte ihm niemand.
Sein Körper wies keinerlei Spuren von Verletzungen auf,
die seine Behauptung, dass er aus Notwehr gehandelt hätte,
glaubhaft klingen ließen. »Ich habe es doch weiß Gott nicht
zum Vergnügen getan!« dachte er. Unvorstellbar, dass er
dafür ein Leben lang büßen sollte.
Er hatte die grauenvollsten Tage seines Lebens hinter
sich. Wie bei einem Verbrecher wurden ihm Handschellen
angelegt und Fingerabdrücke abgenommen, er wurde fotografiert,
dem Haftrichter vorgeführt und wieder fotografiert.
Er musste in stundenlangen Verhören Fragen über sich
ergehen lassen, die ihn zwangen, die Stunden vor der Tat
nachträglich mit Bedeutung aufzuladen. Jede Nebensächlichkeit,
jede beliebige Äußerung, jede belanglose Handlung
bot eine mögliche Spur. In den ersten Verhören schwankte er
noch zwischen Nervosität und Neugier, wie ein Kandidat in
einem Ratespiel, der nicht wusste, was man ihn als nächstes
fragen und ob er die richtigen Antworten geben würde. Doch
dann verengte sich das Fragespektrum auf Detailfragen zum
Ablauf der Tat und er begann, Erschöpfung zu zeigen. Er
fühlte sich nicht mehr in der Lage, über die Vorkommnisse
an jenem Abend zu sprechen, an dem seine Mutter bei einem
ihrer hysterischen Auftritte soweit gegangen war, nach
dem Dolch zu greifen, den er stets im Gürtel bei sich trug.
Was dann geschah, zerrte die Sache aus ihrer gemeinsamen
Wohnung ins Licht der Öffentlichkeit und gab anscheinend
aller Welt das Recht, sich einzumischen und die arme Frau
zu bedauern, die von ihrem eigenen Sohn erstochen worden
war. Er selbst fand sich als Schlagzeile wieder: »Sohn ermordet
Mutter«. Und: »Verbrechen aus Geldgier.« Seine Mutter
hätte ihre helle Freude daran gehabt. Was in den Zeitungen
stand, die ihm die Polizisten auf der Mordkommission unter
die Nase hielten, war eine Nummer ganz nach ihrem Geschmack:
»Sie gab ihm, was er brauchte. Seiner Ansicht nach
gab sie nicht genug. Dabei schlug sie sich mühsam durchs
Leben und musste nicht nur sich selbst, sondern auch ihren
Sohn ernähren.« Nie im Leben hätte sie sich das nehmen
lassen, hatte sie ihn doch stets für sämtliche Enttäuschungen
und Entbehrungen, die sie ertragen musste, verantwortlich
gemacht und jede sich bietende Gelegenheit genutzt, ihm
seine Schuld an ihrem vermeintlichen Unglück kund zu tun.
Mit Wonnen hatte sie sich in die Rolle der Märtyrerin hineingesteigert.
Bedauerlicherweise war ihr nun die Befriedigung,
so viel Mitgefühl von völlig Unbekannten zu bekommen,
versagt geblieben.
Als er gefragt wurde, ob irgendetwas darauf hingedeutet
hätte, dass seine Mutter tatsächlich vorhatte, ihn umzubringen,
sagte er: »Ihr Lächeln.«
Der Kommissar, der während der Vernehmung an einer
Zigarre zog, starrte ihn ungläubig an. Das Gesicht des jungen
Mannes wirkte so unschuldig. Wie er sich hin und wieder
das lange, gewellte Haar nach hinten strich und mit der
Hand durch die Luft fuhr, sah er eher wie ein Künstler aus,
ein Dirigent oder ein Komponist. Seine Hände waren lang
und schmal, und hatten übertrieben gepflegte Fingernägel.
»Weibisch!«, dachte der Kommissar verächtlich. »Keiner,
der ehrlich arbeitet, hat solche Hände.« Dieser Gedanke
drängte sich ihm einfach auf. Alles an dem Täter war weich,
die schräge Stirn, das fliehende Kinn, der Händedruck, die
Stimme. Sie hörte sich viel zu hell für einen erwachsenen
Mann an. Wenn er redete, sprang sein Adamsapfel auf und
ab. Dann ähnelte er mit seiner schlaksigen Figur einem unruhigen
Vögelchen. Nur der breite Mund mit den hochmütigen
Lippen verriet, dass dieses Bürschchen mit seinem sanften,
engelsgleichen Aussehen sie alle hinters Licht führen wollte.
Und was er sagte, klang so überlegt und distanziert, dass
man schließlich den Eindruck gewinnen musste, ihn ließe
die Situation innerlich völlig kalt. Sogar jetzt, wo er sich
müde die Augen rieb, lag noch etwas von Hochmut in seiner
Stimme, als er über mögliche Gründe für seine schauerliche
Tat spekulierte. Einige hässliche Geräusche hätten sich in
seinem Gedächtnis fest eingegraben, obwohl er sie nur ein
einziges Mal gehört habe, sagte er. So verbrachte er den
Kriegssommer 1917 mit einem Kindertransport auf einem
Gutshof am Kochelsee, wo er in der Landwirtschaft mit
anpacken musste. Als er gemeinsam mit ein paar Jungen
den Getreidekarren auflud, rutschte einer der Lastochsen
auf dem Ackerweg in einer tiefen Furche aus und brach sich
den Knöchel. Ihm wäre jedes Mal übel, wenn er sich das
feine Knacksen des brechenden Knochens in Erinnerung
rie fe. Es rufe in ihm ähnliche physische Qual hervor wie der
Schrei, den seine Mutter ausstieß, als sie mit ihm um den
Dolch kämpfte. Wie eine Wahnsinnige hätte sie gebrüllt. Er
mutmaßte ungerührt, dass es wahrscheinlich dieser Schrei
war, der in ihm den Impuls ausgelöst hatte, zuzustechen.
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