N O R D P A R K

NordPark Verlag

V E R L A G

Startseite  |   Der NordPark-Buchladen  | Die Autoren  |   Gesamtüberblick | Impressum & Datenschutz


Suchen im NordPark Verlag:



jandt-Cover-Im-Tal-und-darueber-hinaus

Dieter Jandt:
Im Tal und darüber hinaus
Spielereien, Spekulationen, Gedankensprünge in der Stadt


Paperback
116 S.; 2020; EUR 12,00
ISBN: 978-3-943940-64-0


Leseprobe (pdf-Datei)


Warenkorb
bestellen











Eine beschreibenswerte Stadt

Dies sind 25 meist kurze, unzusammenhängende Texte aus dem Tal: Beobachtungen, Vermutungen, Geschichten und kleine Spielstücke.
Ich betrachte diese Stadt als eine sehr beschrei-benswerte, in ihrer Vielfalt, mit all ihren Brüchen, Kontrasten, mit ihren scheinbar unstimmigen Bildern und urigen Figuren. Und dennoch war es mir immer wieder ein Anreiz, auf die Hügel zu steigen, um zu sehen, was es sonst noch zu entdecken gibt, jenseits des Tals.










Leseprobe

anfangs:

Dies sind 25 meist kurze, unzusammenhängende Texte aus dem Tal: Beobachtungen, Vermutungen, Geschichten und kleine Spielstücke.
Angefangen hatte es mit gelegentlichen Blicken aus dem Fenster: auf einen Hundebesitzer, der sich mit seinem Schützling gemein machte, auf einen Herrn mit Zigarre, der ständig vor der Haustür Passanten beäugte, auf eine Frau hoch oben auf dem Balkon, aber auch im Hof spielende Kinder. Später kam eine Nonne hinzu, es folgten Untote und – nach einer Rückschau durch mein privates Fenster – Blicke auf die Kindheit, Erinnerungen an die Teppichstange, einen Handstand und »geschlagene« Räder.
Und da das noch nicht genug war, begann ich über das Tal hinauszuschauen, weit darüber hinaus und verfiel im Übrigen einigen Spinnereien, mit denen ich die Texte bedachte.
Ich betrachte diese Stadt als eine sehr beschreibenswerte, in ihrer Vielfalt, mit all ihren Brüchen, Kontrasten, mit ihren scheinbar unstimmigen Bildern und urigen Figuren. Und dennoch war es mir immer wieder ein Anreiz, auf die Hügel zu steigen, um zu sehen, was es sonst noch zu entdecken gibt, jenseits des Tals.
So ist dieses Buch entstanden, möge es dem Leser einige nachdenkliche, aber auch amüsante Stunden bereiten.




zum Einstieg:

Zwei Espresso, ein Glas Wasser

Mit mürrisch vorgeschobenen Lippen sitzt er auf den Treppenstufen vor dem Café und schaut durch die nah an ihm vorbeifahrenden Autos hindurch. Er nimmt sie gar nicht wahr, wie sie im Schritttempo zur Auffahrt des Parkhauses tuckern. Raucht mit gelben Fingern Filterlose, eine nach der anderen. Was wäre auch sonst zu tun?
Der graue Mantel, den er offen trägt, Sommer wie Winter, fällt schwer über seine Oberschenkel und über die Stufen aus Stein. Unter dem Mantel ein rotes, dünnes Hemd – gebügelt! Die dürren Beine stemmen sich in den Hosenschläuchen wie Spargelstangen gegen die unterste Stufe. Von drinnen tröpfelt italienische Musik auf die Straße, Schnulze aus den Sechzigern, non te ne andere von Jimmy Fontana, das waren noch Zeiten!
Eine Gruppe von Männern steht neben dem Alten. Sie palavern lebhaft, wie es italienische Art ist. Da hört niemand dem anderen zu. Das Übliche: dass die Kinder einem die Haare vom Kopf essen, dass die Frau macht, was sie will, sodass sie kaum dazu kommen, selber zu machen, was sie wollen, außer hier zu stehen und sich aufzuregen. Dass der Kollega, (und nun kommen die in sehr subjektiver Weise funktionierenden, ja verlogenen Lauscher des Schreibers ins Spiel), dass der Kollega aus dem Kiosk von drüben diesen Monat noch nicht gezahlt hat, und man da wohl mal den Ernesto mitnehmen müsse, dass der dem auf die Finger haut. Mindestens. Wenn man hier schon vor dem Café steht, (welches übrigens – dieser wiederum höchst verlogene Einwurf des stillen Beobachters sei erlaubt – den Ruf einer Mafiahöhle hat, wo sie hinter einer gepolsterten Tür zu dicken Zigarren zocken und darauf warten, dass die Geldbündel rangeschafft werden, durch den Hintereingang. Was man sich so denkt. So viel Klischee muss sein. Von vorneweg).
Der Alte hat das alles längst hinter sich. Die Frau, die Kinder, das Ranschaffen. Allein, wenn er an die 80er denkt, als sie die Gefängnistore nicht mal einen Kilometer von hier mit Dynamit gesprengt haben, um den Kollega rauszuholen, was ja auch geklappt hat, und wie er höchstselbst an der Mauerecke lauerte, ob da nicht von irgendwoher vorschnell Blaulicht herankäme. Kam nicht, der Kollega wurde flugs, ohne dass die Wärter reagieren konnten (oder wollten!), in eine Limousine verfrachtet und in irgendeinem Hinterzimmer versteckt, und er – setzte sich ganz cool an die nächste Bushaltestelle, während die ersten Blaulichter herankamen, fuhr ins Café, genau hierher und trank auf den Spaß zwei Espresso und ein Glas Wasser, aber heute? Alles Luschen, die sich mit Pizzapastabudenbesitzern rumärgern, damit die was abgeben.
Denkt er so für sich und hockt also missmutig jeden Nachmittag hier, nachdem er drinnen zwei Espresso und ein Glas Wasser getrunken hat, was die schmale Rente so eben erlaubt. Manchmal, wenn Toni hinter der Theke steht, bekommt er die eine oder andere weitere Tasse zugeschoben, einfach so. Ist aber nicht gut fürs Herz.
Dann hockt er anschließend auf den Stufen, murmelt zu sich selbst hinter seinem grauen Bart hervor, meckert über die Passanten, die er drüben auf der anderen Straßenseite zwischen den vorbeischleichenden Autos ruckartig wie in einem Daumenkino wahrnimmt, wie sie sich mit ihren Taschen und Tüten abschleppen, wie sie sich, Männlein und Weiblein, gegenseitig ankeifen, weil alles zu teuer war, weil sie keine Zeit haben, was das überhaupt solle in diesem Gedränge heute, weil er ihr und sie ihm auf den Geist gehen und das seit Jahren schon, weil sie endgültig den Zeitpunkt verpasst haben, sie oder ihn ein für allemal in den Hintern zu treten. Da nickt er spöttisch über den Verkehr hinweg zu ein paar Jugendlichen hinüber, die sich mit verschränkten Armen gegen den Mauervorspung eines Schaufensters lehnen, weit drüben auf der anderen Seite der breiten Straße, die wie eine Grenze das Revier abschneidet, was überhaupt schon unerhört ist, früher hätte man locker auch dort drüben abkassiert, und wenn die Straße hundert Meter breit gewesen und wenn das Polizeirevier nur einen Steinwurf entfernt gewesen wäre, was ja nunmehr der Fall ist, und was ihn umso mehr gereizt hätte. Diesen Laden da zum Beispiel mit seinen breiten Schaufenstern, darin rote Dessous auf Plastikkörpern. Müsste man schröpfen, jeden Monat. Macht das keiner? Fragt er sich und schüttelt den Kopf, weil er nicht mehr auf dem Laufenden ist.
Da stellt er sich vor, wie er da reinspazieren würde, lässig tänzelnd, den Mantel zur Seite geschlagen und eine Hand in der Hosentasche, an die Transe ran, mit ihrer wasserstoffblonden Lockenperücke, wie sie nervös an den Rüschen eines Dessous zupft, das sie gerade geliefert bekommen hat. Mann, da hätte ein ganz leichtes Kopfnicken gereicht, seitlich zur Kasse hin, und schon wäre die aufgesprungen. Aber so, heute? Mahlt er eben mit den Kiefern: nichts Neues mal wieder und immer wieder, und doch besser als den Nachmittag in der Dachkammer zu hocken und die Blümchentapeten zu mustern, wie sie sich seit Aberjahren nicht verändern, obwohl doch schon zig Mal Frühling war.
Manchmal, wenn ein bestimmter Typ vorbeigeht, so ein dicklicher mit schütterem Haar und geschultertem Rucksack, und abschätzig auf ihn niederschaut (da ist er ganz sicher), so ein typischer Beobachter, der nichts sagt, aber dumm rumguckt, dann spuckt er dem seinen Tabaksud vor die Füße. Möglichst so, dass der das merkt. Merkt es aber nicht – oder will es nicht merken, der Sack. Will vermutlich keinen Ärger. Hat Angst. Früher hätte er dem woanders hingespuckt!
Später dann, bevor es dunkel wird, stützt er sich ächzend mit einem Arm an der obersten Stufe ab und erhebt sich schwer. Grüßt kurz nachlässig mit einer Hand in das Café hinein und hinkt bei aller Arthrose oder Gicht oder weiß der Teufel was zur Bushaltestelle, zurück zur Dachkammer.



Frauengeschichten:

Kassandra in der Vorhölle

»Fremde! Keine Rechte! Durch Fehler! In den Kopf!«
Wieso in den Kopf, und welche Fehler?, denke ich, während ich sie beobachte, die Alte, Olga heißt sie angeblich, für mich ist sie eher Kassandra. Stelzt daher, hin und her, zwischen dem Wochenmarkt und den Linienbussen auf der anderen Seite, während sie ihre Litaneien hinausschreit, mit rauher Stimme.
»Keine Rechte! Durch Fehler! In den Kopf!« Welche Fehler haften ihr denn verflucht noch mal im Kopf und bleiben trotz Geschrei stecken? Sie habe früher bei Hertie gearbeitet, gleich um die Ecke, und gewohnt habe sie an der Schwarzbach, berichtet sie – geradezu stolz – in einem klaren Moment. Hertie ist schon lange dicht, und die Wohnung steht vermutlich leer, auch seit Langem, sozialer Brennpunkt dort, mit Leerstand ohne Ende.
Kassandra hat die Kapuze ihres grauen Parkas über den Kopf gezogen. Sie ist klein, wirkt kräftig und zäh. Ein paar dünne Strähnen fallen ihr ins faltige Gesicht. Die Haut ist wettergegerbt, die Augen sind rot gerändert, vom Schreien? Wenn ihr das Blut in den Kopf steigt, hinter die Augen?
Auf den Stufen zur Einkaufspassage hat sie einen rollbaren Koffer geparkt, eine Umhängetasche trägt sie geschultert. Seit vielen Jahren gehört sie zum Straßenbild. Sie lebt dort, auf der Straße, es heißt, sie bettele nicht, sie nehme, was die Leute ihr aus freien Stücken gäben. Was ja schön ist, wenn man noch Stücke frei hat.
Eine Woche später lehnt sie am Brunnenrand. Ein paar Punker im Schneidersitz neben ihr, während das Wasser nutzlos in Fontänen emporschießt. Kassandra rupft Krumen aus einem trockenen Brötchen und wirft sie Tauben zu, die hektisch vor ihr auf das Pflaster picken und sich gegenseitig mit Flügelschlägen zu verjagen suchen.
»Danke sehr für Zigaretten.« Diese Reibeisenstimme! Ich reiche ihr die Schachtel, vorsichtig, ohne ihre Hände zu berühren. Warum? Habe ich Angst vor dem Schmutz der Straße? Fremdes Terrain. Aus Unbehagen vor dem Unrat in den Ecken, in denen sie liegt, wenn sie sich des Nachts zurückzieht? Vor Urinspuren an den Händen, wenn sie irgendwo hinpinkelt und kein Wasser zum Waschen hat? Obwohl: Wie sollte sie sich denn aus Versehen über die Finger pinkeln?
»Wie alt sind Sie denn?«
»Ich bin 43 geboren.«
»Dann sind Sie jetzt 76.«
Sie lacht rauh zwischen gelben Zahnstummeln hervor. »Älter. Älter. Aber es macht nichts, ob alt, ob jung, es wurde alles geraten und gewählt, und man sagt immer: Es muss alles stimmen. Die Wahrheit, das Raten und Wählen, es ist alles geraten und gewählt.« Wieder lacht sie, und ich komme mir dumm vor, als müsste ich das kapieren. Was musste sie wählen? Ihr Schicksal? Oder ich die Zigarettenmarke, von der ich vermutete, dass sie für sie die richtige sei.

Kassandra ist sehr ordnungsliebend. Ihre Bettdecken liegen tagsüber immer sorgsam zusammengelegt am Seiteneingang des ehemaligen Kaufhauses, in dem sie früher gearbeitet hat. Gelber Stoff mit weißen Punkten. Morgens zieht sie dann mit ihrem rollbaren Koffer und der Umhängetasche durch die Innenstadt. Trinkt coffee to go, ja wohin denn? Isst ein belegtes Brötchen, das jemand ihr gegeben hat. Dann wieder schreit sie.
»Kommt der Tag, die Stunde, kommen die Rechte! Ohne Nerven, ohne Nerven!« Ja aber wann? Am Jüngsten Tag? Und dann fortan in aller Ruhe? Bis dahin steht sie ständig unter Strom. Dauerstrom. Ohne Sicherung.

Einmal sehe ich sie doch betteln. Aber völlig ungeschickt und deplatziert. Wieder tief die Kapuze ihres Parkas ins Gesicht gezogen, sitzt sie auf den Eingangsstufen des Rathauses, zwei Meter oberhalb der wenigen Passanten auf ihrem Weg zum Wochenmarkt. Linienbusse dieseln schwer im Schritttempo vorbei. Auf der obersten Stufe hat sie Kupfermünzen in 5er Reihen zu einem Quadrat ausgelegt, als wolle sie demonstrieren, dass sie eine ordentliche Bettlerin ist, trotz dieser verdammten Fehler im Kopf. Wenig später steht ein Gerüst an der Vorderfront des Rathauses, über Wochen. Kassandra nutzt die schmale Lücke zwischen Mauer und Metallstreben zum Schlafen, auch am Tag, wenn es regnet. Da liegt sie langgestreckt im Schlafsack in ihrem Rückzugsraum, verdeckt hinter einer Plastikplane, und ich schiebe ihr eine Packung Zigaretten zu, geraten und gewählt. Sie hat die Augen geschlossen. Dann aber doch: »Danke sehr für Zigaretten.« Und ich schrecke zusammen.

Nun habe ich sie lange nicht gesehen. Wo mag sie sein? Im Heim, im Himmel – oder in der Hölle, schreit sich die Seele aus dem Leib.








NordPark Verlag
Literarische Texte und Texte zur Literatur


Die Titel des Nordpark-Verlages können über jede gute Buchhandlung bezogen werden.
Dort berät man Sie gern.
Sollte keine in Ihrer Nähe sein, schicken Sie Ihre Bestellung einfach an uns:
N o r d P a r k
V e r l a g
Alfred Miersch
Klingelholl 53 
D-42281 Wuppertal

Tel.:  0202/ 51 10 89 
Fax: 0202/29 88 959
E-Mail: miersch@nordpark-verlag.de

Webmaster: Alfred Miersch




Info:




Der Autor:
Dieter Jandt ist 1954 geboren, er lebt als freier Autor und Journalist in Wuppertal, hält sich aber oft auch längere Zeit im Norden von Thailand auf. Er schreibt Hörspiele und Features sowie Reportagen. Bis 2018 Mitarbeit in der Redaktion der Literaturzeitschrift »Karussell«. 2008 erschien der Kriminalroman »Rubine im Zwielicht«, Oktober Verlag, Münster. 2013 »German Cop«, Oktober Verlag, Münster 2013 »Ist das der Mekong?«, edition dpe, Texte und Malereien (Uli Trostowitsch). Veröffentlichungen von Radiofeatures u.a.





NordPark Verlag

NordPark Verlag
Klingelholl 53
42281 Wuppertal
Tel.: 0202/51 10 89
E-Mail
Impressum