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Jo Micovich
Niemand ist entkommen

Eine Jugend im Hitlerstaat
1943 bis 1945
Erzählung
Dezember 2008, Euro 17,00
Paperback, 196 Seiten
ISBN: 978-3-935421-31-7

Ein alter Mann erinnert sich, begibt sich in das Leben des Jungen der er einmal war.
Der Bombenangriff auf seine Heimatstadt, bei dem er und seine Eltern alles verlieren. Der Tod seines Vaters bei einem erneuten Angriff wenige Wochen später.
In Lageraufenthalten innerhalb der Kinderlandverschickung im schönen Österreich organisiert er bunte Abende, baut sich eine Gegenwelt.
Als ihm schließlich Menschen aus dem österreichischen Widerstand begegnen, setzt sich die Erkenntnis durch, dass er einer gewaltigen Täuschung erlegen ist ...


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Leseprobe
Bio-/Bibliographie Jo Micovich




Leseprobe

Der Alte macht Notizen, fängt schließlich doch mit dem Schreiben an. Kleine Stücke, kleine Bilder. Alles in Ich-Form. Die benutzt er gern beim Schreiben, aber mit ICH ist nicht immer er selbst gemeint. Jetzt ist er gemeint.
Er beschreibt die Bombennacht, den ersten großen Angriff der britischen Luftflotte auf die Stadt. Die Menschen in der Stadt fühlen sich sicher. Die Stadt liegt im Tal, die finden uns nicht. Auch keine Kriegsindustrie hier. Warum sollten sie angreifen.
Er beschreibt die häufigen Alarmnächte vorher, in denen nicht viel passiert ist. Wie er aus dem Luftschutzkeller geht, möglichst unauffällig, damit die Eltern es nicht bemerken. Er ist ein neugieriger Junge, er steigt hinauf ins Dachgeschoss. Das Haus ist dunkel, kein Licht darf sichtbar sein. Die Angreifer sollen kein Ziel sehen. Alle Fenster mit Verdunkelungsvorhängen. Wenn die Menschen beim Heulen der Sirenen in die Keller laufen, löschen sie die Lichter in den Wohnungen. In vielen Häusern sind die Luftschutzkeller ausgebaut. Schwere Eisentüren, die vor Bränden schützen sollen. Bei Alarm brennt ein fahles Notlicht. Da kann der Junge ausbüchsen, ohne dass die Mutter es sofort merkt.
Das dunkle Treppenhaus ist kein Problem. Der Junge kennt jede Stufe. Manchmal gehen auch einige Männer hinauf ins Dachgeschoss. Da ist ein großes Fenster. Von dort aus kann man hinübersehen ins Ruhrgebiet. Das große Feuerwerk. Die Strahlen der Suchscheinwerfer kreuzen sich am nächtlichen Himmel, wollen die Angreifer kenntlich machen, damit man sie abschießen kann.
Manchmal gelingt das, meistens nicht. Das liest man später in der Zeitung oder hört es im Radio. Dass solche Meldungen auch gefälscht sein könnten, kommt dem Jungen nicht in den Sinn. Eventuell sieht man Abschüsse und Hausruinen auch in der Wochenschau. Die läuft vor den Filmen, die man sich an sieht. Die Kinder gehen oft heimlich ins Kino. Dann bezahlen sie mit dem eigenen Taschengeld.
In der Wirklichkeit sind in der Ferne, im Ruhrgebiet, die Folgen der Einschläge zu sehen, die Spuren der Detonationen, die Flammen. Ein Feuerwerk, mächtig und eindrucksvoll. Der Junge hat keine Angst.
Er hat auch in der Nacht, in der die Stadt getroffen wird, keine Angst. Seine Eltern und er sind die letzten, die den Luftschutzkeller verlassen. Sie tun das erst, als Steinbrocken sich von den Wänden lösen und herunterstürzen, als die Flammen sich nähern. Die anderen Hausbewohner sind vorher nach draußen gelaufen. Das tun der Junge und seine Eltern nun auch. Die Haustür müssen sie nicht mehr öffnen, sie ist weggefegt vom Feuersturm.
Sie laufen. Sie wollen entkommen. Sie laufen an einer Mauer entlang. Dahinter ist ein Lager mit Russinnen. Die Bewacher lassen sie nicht fort aus ihrer Gefangenschaft. Sie kommen alle ums Leben. Davon weiß der Junge nichts, nicht einmal, dass es dort Russinnen gibt. Er erfährt das erst nach dem Krieg. Jetzt hält er sich ein Taschentuch vor den Mund, wie es sein Vater gesagt hat. Funken und Asche fliegen ihm entgegen, aber die Flüchtenden kommen durch, hinauf, in die Schrebergärten auf den Hügeln über der Stadt. Dahin sind auch die anderen Hausbewohner entkommen. Sie alle haben nichts bei sich, nur das, was sie am Körper tragen. Das ist oft unvollständig oder zufällig. Es blieb keine Zeit zwischen dem Heulen der Sirenen und den ersten Einschlägen der Bomben.
Der Alte notiert: Ich habe keine Angst gehabt, aber ich hätte Angst haben müssen.
Dann beschreibt er, wie er am nächsten Abend mit der Mutter die Stadt verlässt. Der Vater will das so. Zu Verwandten sollen sie fahren, ins Lippische, aufs Land, in die Sicherheit. Der Vater muss bleiben, er kann seinen Betrieb nicht verlassen. Züge fahren nur von den Endpunkten der Stadt und das auch nicht sofort. Im Zentrum des östlichen Stadtteils ist alles zerstört. Zuerst fährt der Junge nach Westen, zu Verwandten nach Düsseldorf. Dort bekommt er das Nötigste, etwas Geld, Seife, Waschlappen. Kleinigkeiten. Was er so tragen kann. Wer weiß, wann es uns genauso ergeht, sagen die Verwandten. Es geht ihnen genauso. Ein paar Wochen haben sie noch Aufschub.
Später fährt der Junge mit der Mutter nach Osten. Im Zug schläft er manchmal ein, wird aber schnell wieder wach, weil er das Zuggeräusch für das Geräusch der fallenden Bomben hält. In tiefen Schlaf verfällt er auf dem Fußboden des Wartesaales in Löhne, zwischen vielen anderen Menschen. Die sind auch geflüchtet, die müssen dort umsteigen, die haben auch alles verloren, was man Besitz nennt.
Nein, er ist kein Zeitzeuge. Denn was hat er erlebt?
Kurzeindrücke. Seine Mutter dreht sich zum Haus um, während sie weglaufen. Aus den Fenstern ihrer Wohnung flattern die brennenden Gardinen. Er weiß, dass das für seine Mutter schlimm sein muss. Ihr bedeutet so was viel. Er selbst denkt an seine Gedichte und Geschichten, die nun verbrennen, und an seinen kleinen Stoffaffen, von dem er sich nie getrennt hat. Der Vater sagt, dass sie schneller laufen müssen. Weg von den brennenden und einstürzenden Häusern.
Am nächsten Morgen, in der Ruinen- und Schuttlandschaft, trifft er den arroganten jungen Mann aus der Nachbarschaft. Er hat nie gegrüßt, nie einen Gruß erwidert. Jetzt läuft er auf den Jungen zu, verstört, ergreift seine Hand. Du lebst. Du lebst ja. Das sagt er immer wieder. Stammeln. Wortunfähigkeit.
Und den Mann sieht er, ein paar Straßen weiter. Er kennt seine Kinder, flüchtig, nicht sehr gut. Der Mann steht vor den Trümmern des Hauses. Da hat er gewohnt, da haben sie gewohnt. Jetzt ist das ein qualmender Berg aus Steinen und Mörtel. Darauf zeigt der Mann, er weint, er sagt zu dem Jungen, und auch er wiederholt das immer wieder: sie sind alle da drunter.
Der Junge hört und sieht. Er hört und sieht nichts. Das Außengeschehen erreicht ihn. Keine Verständnisverbindung. Keine Gefühlsverbindung. Alles andere? Nur Erzählungen, viel später. Wer noch lebt, wer tot ist, wer aus dem Fenster gesprungen ist in den Tod, wer unter den Trümmern lag, wer da noch herausgeholt werden konnte, wer überlebt hat, wer nicht. Er hört von den Phosphorbomben, den brennenden Straßen, den brennenden Kellern. Dort sind die Menschen in die Waschbottiche gestiegen, um sich im Wasser zu retten. Sie sind verbrüht, zu Tode gekocht worden. Einige sind auf die Straße gelaufen. Dort sind sie in den Phosphorflammen verbrannt, geschrumpft, ganz klein geworden. Die kleinen verkohlten Leichen hat man später nebeneinander gelegt, um sie zählen zu können.
Der alte Mann stellt sich vor, dass er das, was er geschrieben hat, in einer Schulklasse vorliest, dass einige das nicht aushalten. Hören Sie auf, hört er sie sagen, hör auf. Hör auf.
Sich selber hört er sagen: Das ist Krieg. Genau das.
Er sitzt an seinem Schreibtisch. Er sieht die beschriebenen Blätter an. Er hebt den Kopf. Er sieht hinunter zu den Gärten vor dem Haus, hinüber zu den Hügeln auf der anderen Seite der Stadt. Da sind Wälder, viele Wälder. Zwischen ihm und den Wäldern Häuser, Fabriken. In den meisten Fabriken wird nichts mehr hergestellt. Der alte Mann sagt sich, dass er ein Idiot ist, weil er nun doch mit dem Schreiben angefangen hat, mit der Hand sogar, um nicht flüchtig und zu schnell zu schreiben. Da ist ein Widerspruch zwischen dem, was er mit den Augen sieht, Gärten, Häuser, Hügel, Wälder, viel Grün, und dem, was er jetzt innerlich vor Augen hat. Der alte Mann fühlt sich stumpf, unruhig zugleich. Er muss etwas tun, muss die Verbindung zur Gegenwart herstellen, irgendwie und anders, als er das gewöhnlich tut. In einem der Gärten sieht er den Mann, mit dem er manchmal spricht. Kommen Sie doch mal in unseren Garten, hat der Mann gesagt. Dem ist er nie gefolgt. Jetzt folgt er, geht hinunter. Es ist ein heißer Sommernachmittag. Der Mann freut sich. Die Frau fragt, ob der Alte eine Tasse Kaffee will. Er will. Sie sitzen zusammen unter den Bäumen, im Schatten, zwischen den Blumen und Sträuchern, vor dem Gartenhaus. Sie reden nicht viel. Das ist gut. Der Alte hat sich vor Geschwätz gefürchtet, vor Nichtigkeiten, vor Banalitäten, vor Durchschnittsmeldungen, Pauschalisierungen. Das alles kommt nicht ins Gespräch. Sie schweigen, vielleicht weil es selbst im Schatten noch heiß ist.
Ganz einfache Empfindungen. Hier sitzen. Nicht viel reden. Da sein dürfen. Ein kleines Stück Natur vor den Augen. Den Kaffee trinken, den die Frau anbietet, dann die kalten Getränke.






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Info:
Bio-/Bibliographie:
Jo Micovich

Bücher im NordPark Verlag:
Niemand ist entkommen

An den Absturz gelehnt

Leseprobe:
Niemand ist entkommen


Jo Micovich
Autorenfoto 1
(Foto August 1990, copyright Alicia Fassel)
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Autorenfoto 2(Foto August 1990, copyright Alicia Fassel)
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