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Die kritische Reihe zur Kriminalliteratur
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Vordergründig erscheinen die Figuren in den Romanen der Patricia Highsmith als »Opfer« ihrer persönlichen Geschichte und als letztlich »Gefangene« ihrer psychischen Anatomie, andere und sich selbst für »mörderische« Zwecke gebrauchend oder aber selbst in solche hineingezogen.
Die Konfigurationen der Romane werden hier literatursoziologisch beschrieben, analysiert und gewertet: die auffällig kleinbürgerliche Denk- und Verhaltensweise der Figuren, die Dekadenz des Großbürgerlichen in den jeweiligen kulturellen Erscheinungsformen. Deskription und Analyse beziehen sich dialektisch zueinander, um das Wesen evidenter Erscheinungen auf der Folie der herrschenden Gesellschaftsstruktur des 20. Jahrhunderts zu entdecken.



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Roland Hoja
Ripley & Co.
Die sieben Todsünden des Kleinbürgers
oder
Kleinbürgerlichkeit und dekadente Genialität in tragenden Romanfiguren der Patricia Highsmith

Paperback. 204 Seiten
Oktober 2011, Euro 17.00
KrimiKritik 11
ISBN: 978-3-935421-68-3



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Leseprobe

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Einleitung

Nach dem genussreichen Lesen hauptsächlich der Ripley-Romane, der dann folgenden Erweiterung auf andere Romane, wie z.B. der Geschichtenerzähler als unterhaltende Bett- und Urlaubslektüre, folgte eine längere Zeit ohne weitere Berührung. Die »Sucht« hatte nachgelassen bevor sie mich überhaupt regelrecht erfasst hatte, Kriminalromane anderer Autoren rückten in den Vordergrund zu ebensolchem Zweck, nämlich der anregenden und aufregenden Unterhaltung, aber eben mehr kurzweilig. Ein Übriges hatte 1999 die meines Erachtens miserabel verunglückte Verfilmung des »talentierten Mr. Ripley« getan. Nicht nur die eigentlich großartigen SchauspielerInnen Mat Damon, Gwyneth Paltrow und besonders die wunderschöne Cate Blanchett waren hier völlig verkehrt in ihren Rollen platziert, sondern auch Anthony Minghella hatte es nicht verstanden, die widersprüchliche Brisanz dieses genialen Typen in passende Schauspielerei und Szene zu setzen. Damit war auch ungerechter- und unbeabsichtigter Weise erst einmal die Autorin für meine weitere Lektüre uninteressant geworden, verlegt, aber ohne Entscheidung natürlich gegen die Autorin.

Wäre diese nicht ausgerechnet Patricia Highsmith, hätte ich wahrscheinlich keine Wiederaufnahme gesucht, bzw. wäre nicht nochmals auf die Highsmith gezielt zugegangen, aber der mich vollends beeindruckende Kriminalroman hatte mich zwischenzeitlich auch nicht erreicht. Ich erinnerte mich plötzlich wieder, nach fast einem Jahrzehnt, eben beim Suchen nach der Krimilektüre, an die fast uneingeschränkte Identifizierung mit dem Mörder, mit dem Mörderischen, dem genial Abnormen, dem Dekadenten, der Produktivität des vermeintlich Pathologischen bei Patricia Highsmith und der genial fesselnden psychocharakterlichen Entwicklung der Handlung mit ebensolchen ungeheuerlichen und absonderlichen Figuren des Alltags, nicht meines real existierenden Lebens, aber damit sozusagen innerlich verbunden zustimmend-ablehnend mit einigen wünschenswerten, aber auch ungeheuerlichen Seiten, beispielsweise bei Guy Haines und Bruno Anthony in Zwei Fremde im Zug, Bei gleichzeitig vollständiger Ablehnung dekadenter Verhaltensmodi, insbesondere im Falle Ripley & Co, wie auch kleinbürgerlich-spießiger in anderen Fällen, die mir figürlich nicht mehr genau in Erinnerung waren, aber doch die Erinnerung an bestechend protokollarische Detail-Schilderungen. Zudem die Auffassung, dass hier eine Autorin regelrecht am Werk ist, die fantasierend genial Fälle zu konstruieren in der Lage ist, die unter meine Haut beim Lesen gehen, die mir aber auch verdeutlichen, dass nur biografisch authentisches Sein dafür den Boden bereiten kann.

Gleich der Wiedereinstieg (sozusagen ›Highsmith reloaded‹) mit dem Zittern des Fälschers erfasste mich komplett, es war die angenehm süß-exotisch, exilierte Situation des Schriftstellers und Drehbuchautoren Howard Ingham in Tunis. Ich griff dann zum nächsten: Ein Spiel für die Lebenden, worin mit Señor Theodore Schiebelhut, Ramón und Lelia in Oaxaca eine Kulisse und ein Treiben geschaffen wurde, das mich in seiner exotisch latenten Kriminalität innerhalb einer Bohemien unter einfachen mexikanischen Menschen faszinierte. Gerade auch die unbedarft dekadente Luxuriösität mexikanischer Szene Kulturschaffender eine Faszination schaffte, die ich ihrem Wesen nach dennoch ablehnte. Um dann mit dem Stümper der Autorin vollständig ausgeliefert zu sein, weil darin das mittelständisch Gutsituierte nahezu erstickend wirkt, während das Mörderische, vollstreckt oder nur gedacht, produktiv Befreiendes in sich birgt. Was war geschehen, gerade anhand solch unterschiedlicher Plots und Figurationen?

Die Psychologie der Ungeheuerlichkeit wird logisch und alltäglich normal entwickelt, ja sogar in die Normalität des Alltags mit allen Affekten gestellt, als sei es so oder könne, ja müsse einfach so sein. Die Gewohnheiten der Figuren, gewohnt gewöhnlich normal kleinbürgerlich bis spießig im Kleinen bis hin zu großbürgerlich dekadent ›normal‹ im Leben eines Künstlers und Schriftstellers wie Schiebelhut (ein Spiel für die Lebenden), Ingham (das Zittern des Fälschers), eines gut gestellten Ingenieurs oder Architekten, der sein Berufsleben normal lebt, außerhalb dessen aber anomal denkt und handelt, wie beispielsweise Robert Forester (Der Schrei der Eule), Walter Stackhouse (Der Stümper), David Kelsey alias William Neumeister (Der süße Wahn) und gerade auch der überzeugende und genial schöngeistige Scharlatan Tom Ripley in diversen Rollen in den auf ihn zugeschnittenen Ripley-Romanen. Ich entdeckte auch verschiedene Seiten gutsituierter und schöner Frauen, wie Carol und Therese, Homosexualität sinnlich schleichend entwickelnd, auslebend neben aller gesellschaftlicher Tabuisierung, wie auch Frauen in lebender Promiskuität, wie beispielsweise Nickie Forester, Melinda Van Allen, Lelia Ballesteros und Alice Bartleby mit Einschränkungen. Das faszinierte mich, regte mich auf und an, weil sich insbesondere solche Frauen notwendig oder aus purer Lust am Leben gegen meist ungeschriebene gesellschaftliche Regeln stellen.

Hinzu fügte sich in meiner Lesart die sozialpolitische Einmischung und Kommentierung der Autorin, die mich sehr stark vereinnahmte und überzeugte. Nun las ich aber selbst anders als vor Jahren, weil sich meine Denk- und Lebensumstände selbst geändert hatten. Nicht allein dadurch, dass ich selbst Autor verschiedener wissenschaftlicher Bücher, einem dokumentarischen Roman und auch einem Kriminalroman geworden war. Und ich entdeckte in PH’s Romanen großartige Literarität, geradezu geniale! Das wollte ich nicht mehr nur für mich entdeckt lassen, sondern diese Entdeckungen weitertreibend aufdecken, literaturwissenschaftlich beschreiben, analysieren und werten. Doch nicht im Ganzen und auch nicht biografisch, das ist schon geleistet, sondern ausgewählt partikulär komparatistisch im Gesamtkontext ihres Werkes.

Nämlich: das auffällig Kleinbürgerliche mit dessen spießigen Affektionen, die Dekadenz des Großbürgerlichen in ihrer jeweiligen Erscheinungsform als Symptom der seit Jahrzehnten morbiden kapitalistisch orientierten Gesellschafts- und Lebensordnung, nicht nur für die erste Dekade nach dem zweiten Weltkrieg und nicht nur für die US-amerikanische Gesellschaft. Das in Verbindung nicht nur entlang eingebetteter Symptomatik von Handlungs- und Figurenkonstruktionen im Plot, sondern auch ausdrücklich in der Lesbarkeit von Einstellungen und Kommentaren der geschaffenen Figuren, z.B. zum Vietnamkrieg, dem so genannten 6-Tagekrieg des israelischen Staatsapparates gegen das Volk von Palästina und dem heftigen amerikanischen Antikommunismus zu Zeiten eines McCarthy, zur Diskriminierung von Homosexualität, zu Nixons Watergate oder Ronald Reagans Politik zu Zeiten des so genannten ›Kalten Krieges‹ oder in Europa nicht nur De Gaulles und Jacques Chiracs Außen- und Atompolitik…etc.! Wie sich PH auch als überschauende Autorin kritisch bis hasserfüllt in die funktionierende manipulative Zuständlichkeit verschiedener Medien genau zu diesen Themen einmischte.

Vordergründig erscheinen Figuren als Opfer ihrer ganz persönlichen Geschichte und letztlich Gefangene ihrer psychischen Anatomie, die sich in sich selbst winden und wenden, andere in ihren festgefahrenen Zirkel einbinden, indem sie diese und sich selbst für mörderische Zwecke gebrauchen oder aber selbst in solche hineingezogen werden, möglicherweise noch selbst solche fantasieren, wie beim Stümper oder dem Schrei der Eule, ohne selbst irgendeine kriminelle Aktivität entwickelt zu haben. Behilflich bei einer Einordnung auf moralischer Ebene sollten mir die so genannten biblischen Todsünden oder mit B. Brecht gesprochen Die sieben Todsünden des Kleinbürgers in Doppeltheit sein: einmal als Beschreibungswerkzeug solch vorkommenden subjektiven Habitus’ und des Weiteren als Kategorien, die in der Erklärung begründet sein sollen durch objektive Zustände, die wiederum als dialektisches Verhältnis darin zu verstehen sind. Schwierig dabei erwies sich, wie zu lesen sein wird, dass ja PH Moralität ablehnte zugunsten der Triebkräfte von Amoralität, wenn auch sie selbst natürlich die Befreiung davon nicht hat konsequent leisten können und wahrscheinlich auch nicht wollen, haben dann doch ihre Figuren diese Arbeit geleistet und sie selbst sich im Schaffungsprozess des Plots und der Figuren unbeschadet weitgehend bürgerlich moralisch integer hat darstellen können bei gleichzeitiger klammheimlicher, beklemmender, still schweigender Frönung von Amoralität bis hin zu mörderischer Fantasie. Ich lege hier die Auffassung zugrunde, dass natürlich die Psychologie die eine Seite der Handlungs- und Figurenkonstellation ist, während die andere begründet ist im extern kapitalistischen Lebenszusammenhang. Der dadurch notwendig außengelenkte Mensch und dessen Abhängigkeit von ihm fremden, aber lieb gewordenen Strukturen, erfährt seine Handlungen und Charakterstrukturen fälschlicherweise als seine nur ihm eigene und bekommt sie als solche durch seine ihn umgebende Umwelt auch so immer wieder bestätigt. Damit befindet er sich biografisch in einem Teufelskreis, aus dem er sich eigentlich nur ›befreien‹ könnte, wenn er auch das Äußere, ihm im Wesen Fremde angreifend auflöste, zerschlüge, statt immer wieder sich selbst und andere, wie andere ihn. Dabei werden kontinuierlich wirkende Institutionen, wie die Polizei, die Medien, Vorgesetzte, Vermieter, Kollegen und letztlich sogar Freunde ebensolche Mittäter und Mitträger der Verhältnisse, die sie ständig generieren.

Patricia Highsmith hat sich immer gegen solche kleinbürgerlich bis spießig-gefährliche Zusammenhänge gewehrt, um daraus auszubrechen, aber sie ist immer wieder in den ›Teufelskreis‹ zurück verfallen, wie ihr Leben davon Zeugnis gibt, wie allein dadurch auch die Konfiguration ihrer handelnden Personen von detailliertester empathischer Kenntnis dessen entsprechend geprägt ist. Es ist trotz Kenntnis der Wirkungsweise der kapitalistischen Gesellschaft bis in die Psychologie des einzelnen Menschen, dessen Morbidität hier Ausdruck findet, dann doch immer wieder ein Schlag gegen sich selbst oder gegen andere, die aber selbst damit verstrickt sind. Dem hat sie in vollendeter Weise romansprachschriftlich literarischen Ausdruck verliehen. Nicht aber, und das natürlich in vollster Absicht, ein Genre einer Art antikapitalistischen Romans ergründet, denn zu sehr steckte sie im Kreis des psychologisch motivierten Kreisels, dessen Lösung in Verhaltensänderung durch Psychoanalyse liegen sollte. Außerdem wäre so ihrer Fantasie und dem daraus generierten Plot vollständig der Boden entzogen. Wir Leser hätten nicht solche Kriminalromane.

Welche enorme Befriedigung muss es einem geben, eine Geschichte so zu formen, wie er (Maupassant) es kann! Man muss »formen« sagen, weil es nicht nur Schreiben ist, sondern Verdichten und Wegschneiden, wie es ein Bildhauer macht, etwas meißeln, bis es ganz schlank und klar ist. Und die Arbeit vertrauensvoll dem Schmelzofen der Zeit übergeben; zu wissen, dass sechs vollendete Seiten die höchste Form der Idee sind, die man gehabt hat: Diese Befriedigung ist der einzig wahre Lohn des Künstlers, und das ist seine größte Freude auf Erden.

So wurde mir das Werk von Patricia Highsmith, ihr »formen«, nicht nur zum Genuss, sondern gleichermaßen zur Aufgabe

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Die Titel der Reihe:
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Jacques
Berndorf
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John
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Soziokrimi
Der
Soziokrimi
Schweizer Krimi
Der Schweizer
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Krimikritik 5
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Krimikritik 5
Lawrence
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