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Beltrametti, Franco:
Francochiffre
64 S.; 2001; EUR 10,90
ISBN 3-935421-07-9
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Leseprobe
... UND KANN NICHT ANDERS
Von Stefan
Hyner
Das erste Mal begegnete ich Franco 1978 beim
One World Poetry Festival in
Amsterdam. Mehr karmisch – ein Freund, der in einer Landkommune in Holland
lebte, war für ein paar Tage zu seinen Eltern gefahren, so dass ich kurz
entschlossen nach Amsterdam weiterzog – als bewusst kam ich in das Büro des
Kosmos, wo Franco mit Jim Koller an einem großen Tisch saß und telefonierte.
Wir verstanden uns auf Anhieb, obwohl es einer gewissen Fähigkeit bedurfte,
Franco zu verstehen, denn er sprach mit einer solch sanften Stimme, die mir
immer wie ein Windhauch vorkam, in dem die Worte dahin trieben, und so sanft wie
seine Stimme war auch sein Herz. Er hat mich damals angenommen wie einen Bruder,
und wir verbrachten die darauf folgende Woche zusammen, in der er mich all
seinen Freunden vorstellte: Joanne Kyger, Reidar Ekner, Ted Berrigan, Nanao
Sakaki, Anne Waldman & anderen. Unser Briefwechsel geht auf diese Zeit
zurück. Im darauf folgenden Jahr lud er mich zum P79 Festival ein, und der
Kreis der Dichter, die ich durch ihn kennenlernte erweiterte sich: Ed Dorn,
Bobbie Louise Hawkins, Gregory Corso, Brian Gysin, William Burroughs, John Gian
& Rita Degli Espositi, um nur einige zu nennen.
Im Laufe der Jahre sind wir uns immer wieder an den verschiedensten Orten begegnet;
Zürich, Bern, Riva San Vitale, Bolinas, Georgetown, Chicago, Mailand, Venedig
und Schwetzingen, wo er 1994 an dem von mir organisierten Festival
Eine Welt
aus nichts als Dichtung teilgenommen hat. Mimi hat ihn damals in Mannheim
vom Bahnhof abgeholt und mit einem Lächeln stellte er mir Antonella Tomaino
vor, "die Mutter meiner Tochter." Er sollte diese Tochter nie
kennenlernen.
Am Abend des 25. August 1995 rief ich Franco an. "Wann kommt ihr an?"
wollte er wissen, denn Mimi, Ting und ich wollten am darauf folgenden Tag nach
Riva bzw. Mugena fahren, in das Haus von Antonella, in dem Franco damals die
meiste Zeit verbrachte, wenn er in der Schweiz war. "So gegen 4 Uhr"
antwortete ich. "Gut, bis morgen." Wir fuhren um sieben von Rohrhof
ab, und eine halbe Stunde später, kurz hinter Karlsruhe, fiel der Tachometer
unseres Wagens aus. Kein Lebenszeichen mehr. Wir erreichten Mugena gegen zwei
Uhr nachmittags, aber niemand war zuhause, nichts Ungewöhnliches, wenn man
Franco kannte. Wir gingen in eine Kneipe, um uns die Zeit zu vertreiben. Als wir
gegen 4 Uhr zum Haus zurückkehrten, kam eine Freundin Antonellas und sagte:
"Ich habe schlechte Nachrichten für euch, Franco ist heute morgen um halb
acht gestorben." Es gibt Momente im Leben, da man verzweifelt versucht, aus
dem Traum aufzuwachen und dies war solch ein Moment. Ich muß zehn Mal um das
Haus herumgelaufen sein, durch die engen, steilen Gassen dieses kleinen
Bergdorfs, immer in der Hoffnung, dass, wenn ich wieder zum Eingang
zurückkehren würde, Franco dastünde, um mich zu begrüßen. Noch heute, sechs
Jahre später komme ich manchmal in seine Wohnung in Riva San Vitale und
erwarte, ihn dort an dem großen Küchentisch sitzen zu sehen.
Wir
fuhren hinunter nach Lugano und besuchten Antonella im Krankenhaus, sie hatte
einen Zusammenbruch, doch dem Kind war nichts geschehen. Die Nacht verbrachten
wir im Haus in Mugena, ich habe die ganze Zeit die Ornamente an der Decke
betrachtet und auf die Klappläden an den Fenstern gehört, die ständig wie im
Zorn gegen die Hauswand schlugen. Drei Tage später fiel mittags einer der
großen Steine, die die Dachziegeln auf dem Haus in Riva beschweren, mit lauten
Knall in den Hof.
Der Tag der Beerdigung kam und mit ihm Freunde aus allen Himmelsrichtungen; Julien Blaine, Kakumi &
Jean Monod, Karl Bruder, John Gian, Giovanni d'Agostino, Giulia Niccolai &
Dario Villa, schwer gezeichnet von seiner Krankheit (es sollte das letzte Mal sein, dass wir uns trafen), und viele, viele mehr. Franco war in der Friedhofshalle in Mendrisio aufgebahrt, und wir gingen, um ihn ein letztes Mal zu sehen. Ting, die damals gerade zehn Jahre alt war, schaute ihn an und sagte: "Jetzt bin ich diesen weiten Weg gekommen, und du bist tot. Scheiße."
Die Kapelle des Krematoriums in Lugano, wo Franco eingeäschert wurde, bot nicht genug Raum für all die Menschen, die gekommen waren. Ich stand neben Christoph Beringer, der völlig in Tränen aufgelöst war. Giancarlo Locatelli spielte auf der Klarinette und anschließend las ich Francos Gedicht for instance dear Jaime de Angulo, die dritte Strophe lautet wie folgt:
zum Beispiel lieber Franco Beltrametti
wenn auch du unter den Geistern bist
wird es dann einen Dichter geben
einen von den besten
der dir schreiben wird
zwei oder drei Sachen
die überhaupt nicht schlecht sind?
nur weil er sie erzählen muß
damit er zu
besserer Laune kommt
Nun, ich schreibe ihm immer noch regelmäßig über zwei oder drei Sachen, nicht nur, um in bessere Laune zu kommen, und wenn es mal wieder allzu unerträglich wird mit dem Verlust der Eleganz in dieser Welt, dann erinnere ich mich an Chicago 1987, als wir an einer Ampel standen und Franco zu mir sagte: "Aus allem Schlechten kommt etwas Gutes" und dann an meinen Traum, als wir uns in einem Land begegnet sind, in dem Leinen voller Gedichte wie Gebetsfahnen von Baum zu Baum gespannt waren. Jerome Rothenberg hat es
Das Paradies der Dichter genannt.
Rohrhof Leeres Boot 2/VI/2545 (2001)
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