N O R D P A R K

NordPark Verlag

V E R L A G

Startseite  | Der NordPark-Buchladen  | Die Autoren  |   Gesamtüberblick | Für Buchhändler |   PresseImpressum & Datenschutz


Suchen im NordPark Verlag:









steffens-anthropoesie.gif

Andreas Steffens
Das Wesen, das nicht eines ist
Anthropologie der Verwandlung

Paperback
124 S., Euro 12,00
ISBN: 978-3-943940-69-5


Leseprobe (pdf-Datei)


Warenkorb
bestellen





Zu werden, was wir sind
Die Frage, was der Mensch sei, gehört zum harten Kern der europäischen Kulturgeschichte. Nach zweitausend Jahren des Nachdenkens erweist sie sich immer mehr als unbeantwortbar. Dem griechischen Meeresgott Proteus gleich, entzieht er sich dem Wunsch nach eindeutiger Bestimmung. Von allen Lebewesen ist er dasjenige, das die Welt verändern muß, um in ihr leben zu können. Indem er die Welt verwandelt, verwandelt er sich selbst. Was immer wir sind, wir sind es, weil unsere Vorfahren nicht blieben, was sie waren. Als das Wesen, das aus dem Tier entstand, Tier aber nicht bleiben konnte, um in der Welt zu bestehen, aber zu sehr Tier blieb, um mit sich selbst einverstanden zu sein, strebt der Mensch in einem letzten Akt der Selbstbestimmung danach, sich in eine Leistung seiner Technik zu verwandeln. In der Literatur treten die Konturen der Geschichte des Menschen als einer Geschichte seiner Verwandlungen hervor.











Leseprobe


Vorweg


Jeder Mensch weiß, einer zu sein. Aber wissen wir auch, was genau das ist?

Die Frage gehört zu den größten Herausforderungen des Denkens, seit es begann, sie zu stellen. Nicht nur die Fülle widerstreitender Antworten, die im Laufe seiner Geschichte gegeben wurden, lassen zweifeln, ob es eine Antwort überhaupt gibt. Vor allem die Geschichte selbst als Überlieferung der Erfahrungen, die Menschen mit sich selbst und ihresgleichen machen, stellt die Überzeugungen und Selbstverständlichkeiten des Menschseins in Frage. Von Menschen gemacht, erscheint sie in unverständlichster Paradoxie als Verkettung von Unmenschlichkeiten.

Eine der wenigen bleibenden Wirkungen dessen, was in emphatischer Übereilung ›Postmoderne‹ genannt wurde, die dann ebenso schnell und leise verendete, wie sie lärmend begonnen hatte, ist die Einsicht, daß es nicht nur eine Geschichte gibt. Was immer sie gewesen sein mag, Geschichte kann nur in der Vielfalt ihrer möglichen Erzählungen als Bewußtseinsinhalt vergegenwärtigt werden. Wer von ihr spricht, muß dazu sagen, anhand welcher ihrer Erzählungen. Geschichte als Erzählung des Menschseins ist ein spätes Unternehmen. Warum es sie auch als eine Geschichte der Verwandlungen geben sollte, und wie deren Grundzüge aussehen könnten, davon handelt diese ›Einleitung‹.

Verwandlung ist der Vorgang, in dem etwas zu etwas anderem wird. Daß der Mensch erst sehr spät in der Welt in Erscheinung trat, heißt, daß er aus etwas hervorgegangen sein muß, was es bereits vor ihm gab. Für den Menschen als Lebewesen ist diese Vorläuferschaft, die ihn dazu bestimmt, das Resultat einer Verwandlung zu sein, die biologische Nähe zum Tier. Ohne Rücksicht auf dessen Gestaltfülle in der Welt ist die Anthropogenese nicht als Geschehen von Verwandlungen denkbar.

Einmal in die Welt gekommen, beginnt der Mensch nicht nur, sie dort, wo er lebt, zu verwandeln (vgl. Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit, 85-98). Auch er selbst tritt damit in eine Geschichte ein, in deren Verlauf er nicht bleibt, als was er entstand.

Abgesehen von einigen wenigen Pionieren wie Lewis Mumford, ist Verwandlung vornehmlich ein Thema der Kunst- und Literaturgeschichte, aber kaum eines der Philosophie. Seit diese sich im ›Zeitalter der Vernunft‹ vom mythischen Denken, dessen Kern das Motiv der Verwandlung war, verabschiedete, verlor sie den Blick für deren Wirkungen in der Geschichte des Menschseins. Mit dem Übergreifen des neuzeitlichen Anspruchs auf Selbstbestimmung des menschlichen Daseins in der Welt auf seine organische Verfassung, zuerst in den Politiken zur Herstellung eines ›Neuen Menschen‹, dann in den ›reinen‹ Wissenschaften der Biogenetik und Biotechnik rückt das lange übergangene Motiv der Verwandlung ins Zentrum anthropologischer Theorie.

Nichts ist mit den Erfahrungen des Menschseins so aufgeladen wie Literatur. Sie bietet einer historischen Anthropologie der Verwandlung ihr reichstes Material. In ihm findet sie die Etappenmarker einer Humanmetamorphologie.

In seinen Vorlesungen zur Philosophie der Kunst, die Hippolyte Taine seit 1866 an der Pariser École nationale supérieur des beaux arts hielt, verwendete er als Epochenmerkmal die Idee eines herrschenden Typus Mensch, verstanden als ein Vorbild, welches die Zeitgenossen mit ihrer Bewunderung und ihrer Liebe umgeben: in Griechenland ist es der nackte, in allen Leibesübungen vollkommene Jüngling von schöner Rasse, im Mittelalter der verzückte Mönch und der liebende Ritter, im 17. Jahrhundert der vollendete Hofmann und in unseren Tagen der unersättliche und traurige Faust oder Werther (Taine, Philosophie der Kunst, 83 f.).

Im Wandel solcher Ideale des Menschseins, wie sie sich in der Geschichte der Künste artikulieren, liegt ein Symptom einer Geschichte des Wandels dessen, was Menschen sind. Sich in wechselnden Idealen der Vollendung wiederzufinden aber, kann nichts anderes heißen, als daß Menschen zu keiner Zeit mit ihrer gegebenen Verfassung zufrieden waren. Dieser Widerspruch zwischen Idealbild und tatsächlichem Sein ist das Indiz einer sich durch die Epochen und ihre Lebenswelten hindurch erhaltenden Unfertigkeit des Menschen: die Menschen halten sich nicht für das, wofür sie den Menschen halten.

Zur Entstehung der Humanwissenschaften seit dem 18. Jahrhundert gehört die seitdem im Zuge ihrer strengen Verwissenschaftlichung aufgegebene Einheit von Literatur und Gelehrsamkeit. Am Karrierebruch Buffons und an der wechselhaften Rezeption seiner »Histoire Naturelle« läßt sich verfolgen, wie die Wissenschaften allmählich literaturfern werden und Traditionsbestände, die man als literarisch bezeichnen könnte, aus dem Kanon des akzeptierten Wissens ausscheiden (Wolf Lepenies, Die drei Kulturen, IV). Hatte der große Erfolg des ersten Standardwerkes einer allgemeinen Zoologie auf dessen literarischen Qualitäten beruht, so bringen diese es schließlich um die Reputation der naturwissenschaftlichen Disziplin, die es mitbegründete.

Knapp hundert Jahre nach dem Erscheinen der »Histoire Naturelle« verfaßt Balzac 1842 seine Vorrede zur »Comédie Humaine«. Er beruft sich darin, neben vielen anderen, auf einen Dichter, der auch Naturwissenschaftler war, nämlich auf Goethe; er beruft sich, und zwar mit Nachdruck, auf einen Naturwissenschaftler, der zuletzt von seiner Zunft als Literat abgetan wurde, nämlich auf Buffon.

Balzac will für die Gesellschaft leisten, was Buffon für die Zoologie geleistet hat: er will die sozialen Gattungen analysieren, aus denen die französische Gesellschaft besteht, und er will jene wahrhafte Geschichte der Sitten schreiben, welche die Historiker, fixiert auf Glanz und Elend ihrer Haupt- und Staatsaktionen, meist zu schreiben vergessen (Lepenies, a.a.O., V).

Sich dieser Konstellation zu erinnern, hat für eine Anthropologie der Verwandlung doppelte methodische Bedeutung. Der humanwissenschaftliche Ehrgeiz der Romankunst Balzacs verweist auf die Literatur als reichste Quelle einer Erforschung des Menschseins; daß er ihr Modell aus der Zoologie Buffons bezieht, darauf, wie sehr das Tier der Bezugspunkt menschlicher Selbsterfahrung und ihrer Darstellung ist.

In dieser Perspektive wird der Satz aus einem zeitgenössischen Roman: Ich wäre gerne eine Maschine (Isabelle Lehn, Frühlingserwachen, 233) zum Indiz dafür, daß die Verwandlungsgeschichte des Menschen in ein Stadium getreten ist, in dem das Tier seine Rolle als Maß seiner Selbstwahrnehmung verliert. In einem letzten Schritt der Selbstbestimmung gibt das humane Bewußtsein die einige Jahrtausende lang selbstverständlich gewesene Bindung an die Natürlichkeit des Menschenlebens auf. Wie sehr auch immer seine Gestalt sich im Laufe seiner Geschichte wandelte, so blieb der Mensch dabei doch immer dasselbe, ein Lebewesen unter anderen; nun will er nicht mehr nur anders, sondern zu etwas anderem werden.







NordPark Verlag
Literarische Texte und Texte zur Literatur


Die Titel des Nordpark-Verlages können über jede gute Buchhandlung bezogen werden.
Dort berät man Sie gern.
Sollte keine in Ihrer Nähe sein, schicken Sie Ihre Bestellung einfach an uns:
N o r d P a r k
V e r l a g
Alfred Miersch
Klingelholl 53 
D-42281 Wuppertal

Tel.:  0202/ 51 10 89 
Fax: 0202/29 88 959
E-Mail: miersch@nordpark-verlag.de

Webmaster: Alfred Miersch




Info:

steffens-Andreas_Portrait.jpg
Autorenfoto Andreas Steffens

Foto: Zbigniew Pluszynski


Andreas Steffens, Schriftsteller und Philosoph, 1957 in Wuppertal geboren; Wanderschaft zwischen Philosophie, Literatur und bildender Kunst; 1980-1990 Mitbegründer und -betreiber der Galerie Epikur, Wuppertal; 1989 Promotion an der Heine-Universität Düsseldorf; 1990 – 2002 Wohnsitz in Paris; 1995 Habilitation und bis 2005 Privatdozentur an der Universität Kassel; Schwerpunkte in Lehre und Forschung: Historische Anthropologie, Kulturtheorie, Ästhetik; seitdem freier Autor.

Biographie




Bücher im NordPark Verlag:
(chronologisch)

steffens-petits-fours-cover-web.jpg

Petits Fours.




steffens-cover-web-voruebergehend.jpg

Vorübergehend.




steffens-bordelle-cover-neu.jpg

In den Bordellen der Schaulust.




Steffens-glueck-web-cover-neu.jpg

Glück.




steffens-gerade-genug-cover-web.jpg

Gerade genug.




steffens-Burgund-cover-neu.jpg

Burgund.




steffens-bildgedacht-cover.jpg

Bildgedacht und Schriftgemalt.




steffens-bildgedacht-cover.jpg

Ontoanthropologie.




steffens-jedermanns-exil-cover-neu.jpg

Jedermanns Exil.




Cover-Steffens-Heimat.jpg

Heimat.




steffens-anthropoesie.jpg

Anthropoesie.




steffens-anthropoesie.jpg

Das Wesen, das nicht eines ist.










NordPark Verlag
Klingelholl 53
42281 Wuppertal
Tel.: 0202/51 10 89
E-Mail
Impressum

NordPark Verlag